Freiheit statt Kapitalismus
Technologien, um die italienische Industrie stärker kapitalintensiv und wissensbasiert auszurichten. Auf einem Symposium der Gesellschaft fürUnternehmensgeschichte (GUG) im Jahr 2009 zur Thematik »Verstaatlichung und Privatisierung« resümierte der Referent zur italienischen Geschichte, gerade infolge der weltwirtschaftlichen Veränderungen nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems habe sich die IRI-Politik »als notwendige Weichenstellung für die ökonomische Modernisierung Italiens erwiesen«. 169
Österreich: Der Staat als Gestalter mit gebundenen Händen
Am 26. Juli 1946 verabschiedete der österreichische Nationalrat einstimmig das sogenannte Erste Verstaatlichungsgesetz. Im Zuge dieses Gesetzes gingen 70 Unternehmen und Unternehmensteile in das Eigentum des österreichischen Staates über, darunter 3 Großbanken einschließlich der von ihnen gehaltenen Industriebeteiligungen, 12 Bergbauunternehmen, 11 Unternehmen der Eisen- und Stahlerzeugung, 3 Metallhüttenwerke, 30 Firmen des Mineralölsektors, 2 Verkehrsunternehmen, 2 Unternehmen des Lokomotiv- und Wagonbaus, 2 Unternehmen der Metallindustrie, 3 Maschinen- und Stahlbaufirmen, 1 Chemieunternehmen und 4 Betriebe der Elektroindustrie. Die verstaatlichten Industriebetriebe wurden der ÖIAG als staatlicher Holdinggesellschaft unterstellt. Mit dem Zweiten Verstaatlichungsgesetz vom März 1947 wurde auch die Elektrizitätserzeugung in öffentliche Hand überführt.
Der grundstoffzentrierte staatliche Sektor in Österreich expandierte rasch und wurde in den folgenden 15 Jahren »zum Motor des Wiederaufbaus« 170 der österreichischen Wirtschaft. Der Leiter des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Franz Nemschak, wies darauf hin, dass damals »allein der Staat« der Aufgabe gewachsen sein konnte, »die aus dem großdeutschen Wirtschaftsraum herausgelösten Industrieanlagen … zu einem der österreichischen Volkswirtschaft entsprechenden Industrieorganismus zusammenzufassen und zu ergänzen. … Er allein war imstande, das erforderliche Investitionskapital aufzubringen.« 171
Dabei hatten die verstaatlichten Unternehmen allerdings nicht nur die Aufgabe, durch ein hohes Investitionsniveau die für ein Wachstum der Gesamtwirtschaft nötigen Grundstoffkapazitäten bereitzustellen, sondern ähnlich wie in England auch die, »den privaten Sektor inÖsterreich durch Abgabe von Produkten unter dem Weltmarktniveau zu subventionieren«. 172 So wurde Kohle bis 1960 unter den Gestehungskosten verkauft, und auch die Preise für Eisen, Stahl und Halbzeug lagen bis zu 40 Prozent unter dem Weltmarktniveau. Der österreichische Industriestrompreis zählte zu den niedrigsten in Europa. Eine wichtige Rolle spielten die Staatsbetriebe auch bei der Sicherung der Arbeitsplätze: Während die Beschäftigung in der Privatindustrie etwa im Krisenjahr 1953 um 12,3 Prozent einbrach, blieb sie im verstaatlichten Sektor nahezu konstant.
Nach einer rasanten Wiederaufbauleistung geriet die verstaatlichte österreichische Industrie in den sechziger Jahren zum ersten Mal in Schwierigkeiten, was vor allem mit ihrer Grundstofflastigkeit zusammenhing. Die Kohlekrise war bereits akut, die Stahlkrise in ersten Ansätzen spürbar. Vor diesem Hintergrund entbrannte in Österreich ein heftiger politischer Streit um die Frage einer möglichen Ausdehnung der verstaatlichten Industrie in die profitablen Zweige der Finalproduktion, also in die Herstellung von Endprodukten aus Stahl. SPÖ und Gewerkschaften sprachen sich für einen solchen Plan aus, ÖVP und Industriellenverband reagierten mit offener Ablehnung.
Tatsächlich hätten viele Probleme, die in den staatlichen Grundstoffindustrien Mitte der siebziger Jahre auftraten, durch eine rechtzeitige Diversifizierung verhindert oder zumindest abgemildert werden können.
Der Streit endete dennoch mit dem Sieg der Diversifizierungsgegner und einem Abkommen, in dem sich die verstaatlichten Unternehmen verpflichteten, zugunsten der Privatindustrie auf die Ausdehnung in Produktionsbereiche zu verzichten, die in Österreich bereits vorhanden waren.
Die dahinterstehenden Interessen waren leicht durchschaubar. Die Privatwirtschaft hatte selbstverständlich kein Interesse, mit staatlichen Anbietern in ihren ureigenen Domänen zusätzliche Wettbewerber zu erhalten, während der Staat als Anbieter preiswerter Basisprodukte in den Grundstoffindustrien, deren Rentabilität ohnehin immer schwächer wurde, wohlgelitten war.
Während
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