Freiheit statt Kapitalismus
wenn die Bank eine Staatsanleihe kauft. Vielleicht auch an einen Hedge-Fonds, der damit seine Währungsspekulation hebelt. Der Sparer wird natürlich nicht gefragt, welche dieser Verwendungen ihm besser gefällt, und in der Regel weiß er gar nicht, welche verschlungenen Wege seine Spargroschen genommen haben. Damit die Leute den Banken trotzdem ihr Geld anvertrauen, sahen sich diese früher von selbst gezwungen, ausreichend eigenes Kapital vorzuhalten, mit dem sie mögliche Verluste ausgleichen konnten.
In neuerer Zeit sind die Anreize der Banken zur Bildung von Eigenkapital rapide gesunken. Da Bankbilanzen sowieso kaum noch einer durchschaut, haben die wenigsten Sparer eine Vorstellung davon, wie groß der Risikopuffer der Bank ist, auf deren Konten sie für die nächste Urlaubsreise oder den Enkel sparen. Außerdem gibt es Einlagensicherungssysteme, die Sicherheit simulieren. Und nicht zuletzt gibt es die Staaten, die einen Bank-Run wie in den dreißiger Jahren nicht noch einmal zulassen werden, also den Banken im Notfall das fehlende Eigenkapital ersetzen und die Guthaben garantieren werden. Genau das haben sie zu Beginn der Finanzkrise ja auch getan. Die Banken haben dank dieser staatlichen Rückversicherung also jeden Anreiz, mit möglichst wenig Eigenkapital ein möglichst großes Rad zu drehen.
Denn je kleiner das Eigenkapital, desto größer bei gleichem Gewinn die Eigenkapitalrendite.
Der Baseler Selbstbetrug
Nach internationalen Vorschriften, die seit Ende der achtziger Jahre gelten, müssen die Banken ihre Kredite mit 8 Prozent Eigenkapital unterlegen. Die Regeln, die das festschreiben, nennen sich Basel I beziehungsweise Basel II. 2010 ist noch Basel III dazugekommen. Eine Eigenkapitalunterlegung von 8 Prozent würde ein naiver Beobachter so interpretieren, dass eine Bank mit einem Euro Eigenkapital 12,5 Euro Kredit schaffen kann. Wenn die Bank ein Eigenkapital von 30 Milliarden Euro hat, kann sie also für genau 375 Milliarden Euro Kredite vergeben oder Finanzpapiere kaufen. Mehr geht nicht, es sei denn, sie behält Gewinne ein oder gibt neue Aktien aus. Irgendetwas scheint an dieser Rechnung aber nicht zu stimmen. Denn die Deutsche Bank verfügte im Jahr 2007 über ein Eigenkapital von unter 30 Milliarden Euro und bewegte damit Aktiva von über 2000 Milliarden Euro. Wie haben die Deutschbanker das fertiggebracht?
Wir haben bereits gesehen, wie die Banken mittels außerbilanzieller Finanzvehikel ihre Eigenkapitalanforderungen verringerten. Aber das ist es nicht, worum es hier geht. Hier geht es um die Positionen, die in der Bilanz erfasst werden. Auch hier öffnen die Regeln nämlich ganze Scheunentore an Gestaltungsmöglichkeiten. Erstens gelten die8 Prozent Eigenkapitalunterlegung nicht für jeden Kredit und für jedes Wertpapier, sondern für die »risikogewichteten Aktiva«. Je nach Risiko muss nur ein bestimmter Anteil der Kreditsumme mit 8 Prozent Eigenkapital unterlegt werden. Für Banken aus OECD-Ländern und erstklassig benotete Investmentgesellschaften gilt eine Risikogewichtung von 20 Prozent.
Wenn also die selige Investmentbank Lehman Brothers sich einen Kredit von 1 Million Euro bei einer anderen Bank besorgte, schlug dieser bei der kreditgewährenden Bank nur als Risikoaktiva von 200 000 Euro zu Buche. Diese Summe musste die Bank dann mit 8 Prozent Eigenkapital unterlegen, also mit 16 000 Euro. Gerade 1,6 Prozent der Verluste im Pleitefall waren so bei den Gläubigerbanken durch eigenes Kapital gedeckt. Angesichts dessen sind die Verwerfungen, die der Kollaps von Lehman in der internationalen Finanzwelt anrichtete, nicht verwunderlich. Rechnet man umgekehrt, kommt man auf einen Multiplikator von 62,5: Mit einem Euro Eigenkapital können zwischen Banken und anderen Finanzinstitutionen also ganz legal 62,5 Euro Kredit geschaffen werden.
Kredite an Unternehmen waren dagegen nach Basel I mit 100 Prozent zu gewichten, also für die Bank wesentlich teurer und entsprechend weniger lukrativ. 1996 gab es allerdings eine Neuregelung zu sogenannten »Marktrisiken«, die darauf hinauslief, dass Kredite, die die Bank in Form verbriefter Papiere hielt, selbst wenn sie nicht in Schattenvehikeln versteckt waren, mit deutlich weniger Eigenkapital zu unterlegen sind als unverbriefte Kredite. Obwohl es absurd ist, anzunehmen, dass das Ausfallrisiko von Krediten sich dadurch verändert, dass sie in einem handelbaren Papier zusammengefasst werden, wurde damit natürlich ein massiver gesetzlicher
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