Freiheit statt Kapitalismus
der Regel kaum höher als bei abhängiger Arbeit und vor allem: Es beruht auf Arbeit. Eigener Arbeit, oft sogar extremer Selbstausbeutung. Von einem Zugriff auf Profiteinkommen kann hier keine Rede sein.
Im Sommer 2010 wurde vom Wirtschaftsmagazin
impulse
und der Stiftung Familienunternehmen eine Studie über »Deutschlands nächste Unternehmergeneration« 83 vorgestellt. Diese Studie bestätigt auf ihre Art, dass die Zugehörigkeit zur Klasse derer, die die Profit- und Vermögenseinkommen unter sich aufteilen, auf Vererbung beruht. Es geht also zu wie beim alten Adel, und zumindest die Verfasser dieser Studie finden das auch ganz normal.
Denn die »nächste Unternehmergeneration«, die hier betrachtet wird, sind mit völliger Selbstverständlichkeit: die Kinder der heutigen Unternehmer. Man stelle sich eine Studie über »Deutschlands nächste Forschergeneration« vor, die nicht junge Leute mit auffälligen naturwissenschaftlichen oder anderen Begabungen, die man mit dem Berufsbild des Forschers in Verbindung bringt, porträtieren würde, sondern: die Kinder der heutigen Forscher. Jedem normalen Menschen würde das absurd vorkommen.
Bei Unternehmern dagegen wird das Erblichkeitsprinzip nicht einmal hinterfragt. »Diese Generation ist eine Leistungs-Elite«, erklärt einer der Autoren. 84 Nach diesem Verständnis ist die Zugehörigkeit zur »Leistungs-Elite« offenbar davon abhängig, an welchem Ort ein Kind krabbeln lernte: Eine mondäne Unternehmervilla muss es schon sein, kein Reihenhaus oder gar eine Sozialwohnung.
Die Studie zeige, berichtet die
Financial Times Deutschland:
»Wer als Unternehmer geboren wird, bleibt in der Unternehmertradition. Der Wunsch nach Freiheit und Selbständigkeit ist extrem stark ausgeprägt.« 85 Nur 6 Prozent der Unternehmenserben könnten sich vorstellen, im öffentlichen Dienst angestellt zu sein. Pietätvollerweise hat die Studie gar nicht erst gefragt, wie viele der »geborenen Unternehmer« sich vorstellen könnten, einen Job im Niedriglohnsektor anzunehmen, etwa als Pflegekraft oder im Reinigungsgewerbe. Oder vielleicht gar einen Ein-Euro-Job. Solche Fragen müssen sich die in der Studie Befragten tatsächlich nicht stellen. Der öffentliche Dienst ist schon das Maximum an Abstieg, das denkbar ist.
Im Kopf von Journalisten, die solche Artikel hinschludern, wird man also – dank eines Gens? – »als Unternehmer geboren« und auch der »Wunsch nach Freiheit und Selbständigkeit« ist einem in die Wiege gelegt, wohingegen sich Kinder von Lehrern, Kassiererinnen oder Arbeitslosen offenbar durch den
Wunsch nach Unfreiheit und Unselbständigkeit
auszeichnen, weshalb aus ihnen auch nie ordentliche Unternehmer werden können. Dass selbst in einer seriösen Zeitung wie der
FTD
solcher Humbug geschrieben werden kann, zeigt, wie unreflektiert die Erblichkeits-Ideologie sich in den Köpfen eingenistet hat. Setztdie Führung eines Unternehmens etwa keine besonderen Fähigkeiten voraus, Führungsstärke, Durchsetzungsfähigkeit, Kreativität, um nur einige zu nennen? Und kann man im Ernst davon ausgehen, dass diese Fähigkeiten einfach weitervererbt werden beziehungsweise von jedem Spross einer Unternehmerdynastie auf dem Eliteinternat erlernt werden können?
Aber die »Leistungs-Elite« muss über diese Fähigkeiten auch gar nicht verfügen. Dafür gibt es ja bezahlte Manager, die man ins Unternehmen holen kann. Die Studie findet heraus, dass etwa die Hälfte der Unternehmenserben »offen für Fremdmanager« ist. Dessen ungeachtet gilt für die meisten: Folgen sie nicht in den Elternbetrieb, wollen sie in der Regel ein eigenes Unternehmen gründen. Mit oder ohne Fremdmanager. Die Söhne und Töchter von Unternehmenseigentümern werden also fast immer selbst wieder Unternehmer. Zwar nicht unbedingt im Schumpeter’schen Sinne, aber zumindest in dem, dass sie, wie ihre Eltern, vom großen
Profitstück
im Volkswirtschaftskuchen leben können und sich nie ins Gedränge um das kleiner werdende Lohnstück begeben müssen.
1972 stellte der
Spiegel
, der damals noch eine kritische Zeitschrift mit journalistischem Anspruch war, in einer Titelgeschichte fest: »Die Zeit, in der ein tüchtiger Unternehmer, mit nichts als einer Idee und einem Firmenschild, anfangen und nach ein paar Jahren einen großen Fabrikkomplex sein Eigen nennen konnte, ist längst vorbei. Selbst in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es nur in jenen Branchen, die, wie etwa die Presse, von den
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