Freiheit statt Kapitalismus
Besatzern zerschlagen waren oder neue Märkte fanden wie die Radio-Industrie oder die Versandhäuser, einigen wenigen Westdeutschen, mit ein bisschen Glück ein großes Unternehmen aufzubauen. Heute könnte niemand mehr so einfach wie damals Axel Springer, dem die englischen Besatzer zwei Zeitungslizenzen schenkten, oder wie Max Grundig, der zunächst Bastelradios vertrieb, und Werner Otto, der sein Versandhaus als Familienbetrieb begann, in die Reihen der Reichen emporklettern.
Weil allein die Einführung eines neuen Produktes wie etwa eine Waschmittel- oder eine Zigarettenmarke auf einem gesättigten Konsumentenmarktschon Millionen verschlingt, ist der Kreis der Besitzenden eine strikt geschlossene Gesellschaft. Es ist eine Gesellschaft der Erben, die, wie die Tabaksippen Ritter (Brinkmann AG) und Reemtsma oder der Gemischtwarenhändler Herbert Quandt, ihre über Generationen in der Familie weitergereichten Unternehmen durch kräftige Expansion und Firmenaufkäufe vergrößerten.« 86
Was unterscheidet die »geborenen Unternehmer« tatsächlich von jenen, die sich aus einer abhängigen Beschäftigung heraus, ohne Erbschaft und Familiendynastie, selbständig gemacht haben? Nicht die Gene, sondern das Startkapital. Weil der verfügbare Kapitalstock für die Entwicklung eines Unternehmens eine entscheidende Rolle spielt, sind die Erben so ungleich viel öfter erfolgreich als jene, die weitgehend aus dem Nichts, mit einer guten Idee und viel Kraft, ein Unternehmen aufzubauen suchen. Wer klein anfängt, wird nur in wenigen Ausnahmefällen groß. Eigentlich nur, wenn er das Glück hat, einen neuen und daher noch offenen Markt mit großem Wachstumspotential zu entdecken und als einer der Ersten am Platz zu sein. Der Neueinsteiger muss den Mount Everest immer von ganz unten erklettern. Der Unternehmenserbe dagegen wird mit dem Helikopter auf 4000 Meter Höhe geflogen und fängt seine Bergtour erst hier überhaupt an. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der schwitzende Kletterer von ganz unten ihn einholt.
»Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand«
Eigentum oder Nichteigentum an Produktivvermögen – also Gesellschafteranteile oder Aktien – ist der entscheidende Unterschied zwischen jenen vielen, die von Löhnen und Gehältern leben, und den sehr wenigen, denen das große Kuchenstück der Profit- und Vermögenseinkommen zur Verfügung steht.
1960 besaßen 1,7 Prozent aller Haushalte in der Bundesrepublik 70 Prozent des gesamten gewerblichen Produktivvermögens. Ende der Sechziger waren es bereits 74 Prozent. Mindestens so viel sind es bis heute geblieben, wobei entsprechende Statistiken kaum noch erhoben werden. Nur 4 Prozent aller Bundesbürger haben Zugriff auf irgendeine Form von Betriebsvermögen, Klein- und Kleinstgewerblereingerechnet. Trotz aller Volksaktien-Trommelei besitzen auch heute noch gut 90 Prozent aller Haushalte in Deutschland keine Aktien: weder direkt noch indirekt über Fonds.
Die großen Aktienpakete, soweit sie privat gehalten werden, konzentrieren sich in den Depots ganz weniger. Wiederum ist es das reichste Prozent, das 70 Prozent aller privat gehaltenen Aktien sein Eigen nennt. Das Geldvermögen von derzeit 4,9 Billionen Euro ist zwar etwas breiter verteilt, aber auch hier haben wenige die dicksten Brocken. Das reichste Prozent allein besitzt nach den Zahlen von Merrill Lynch etwa die Hälfte dieses Vermögensberges. Insgesamt befindet er sich zum größten Teil auf den Konten der oberen 25 Prozent.
Alle anderen haben Kleckerbeträge oder gar nichts. Ähnlich sind die Verhältnisse in anderen Industriestaaten. Das reichste Prozent der US-Bevölkerung hat Anfang der achtziger Jahre 40 Prozent aller Firmengewinne, Dividenden und Zinsen eingestrichen. Inzwischen ist sein Anteil auf 60 Prozent angeschwollen. 90 Prozent dieser Einkommen, also fast alles, fließen auf die Konten der oberen 20 Prozent.
Da es mit Blick auf Demokratie und Gerechtigkeit schwer zu begründen ist, dass in den heutigen Gesellschaften eine winzige Minderheit der Bevölkerung über das nahezu gesamte produktive Vermögen verfügt und dieses Privileg jeweils an ihre Erben weitergibt, wurde und wird immer wieder vorgeschlagen, die »Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand« zu unterstützen. Die Vorschläge reichen von den vermögenswirksamen Leistungen, die der Staat mit Zulagen fördert, über die penetrante Bewerbung sogenannter »Volksaktien« bis zu »Investivlöhnen«, also der obligatorischen
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