Freiheit statt Kapitalismus
Summen beliehen, die entweder in den Konsum flossen oder der Refinanzierung alter Schulden (beispielsweise von höherverzinsten Kreditkartenschulden) dienten. Ohne diesen Mechanismus sähe es auf dem amerikanischen Binnenmarkt schon seit vielen Jahren ähnlich trübe aus wie auf dem deutschen.
Der Trick, Löhne durch Schulden zu ersetzen, war keine US-amerikanische Besonderheit, auch wenn er in den USA am exzessivsten ausgelebt wurde. Aber auch in Großbritannien, Irland oder Spanien (und mit Abstrichen in vielen anderen EU-Staaten) war die Verschuldung der privaten Haushalte in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren die wichtigste Stütze des Binnenmarktes und des privaten Konsums. Das Wachstum in den osteuropäischen Ländern beruhte ebenfalls zu erheblichen Teilen auf zinsgünstigen Eurokrediten, die den Tschechen, Polen und Esten von westlichen Banken geradezu aufgedrängt wurden. Ohne diesen »Konjunkturmotor« wäre das neoliberale Modell viel schneller an seine Grenze gekommen und die Weltwirtschaftskrise von 2009 hätte viel früher begonnen.
Die Vermögen hinter den Schulden
Drei Jahrzehnte Neoliberalismus haben einerseits die privaten Geldvermögen ungleich schneller anschwellen lassen als die reale Wirtschaft und so eine riesige Vermögensblase produziert. Das war aber überhaupt nur möglich, weil sich gleichzeitig eine ebenso große Schuldenblase aufzublähen begann, die die Ersparnis wieder in wirtschaftliche Nachfrage verwandelte. Diese Schuldenblase wurde zunächst hauptsächlich von den Staaten getragen, seit Mitte der neunziger Jahre übernahmen die privaten Schulden von Verbrauchern und Unternehmen diesen Part. Von 1980 bis 2006 sind die globalen Anlagen in Unternehmensbonds und Kreditpapiere um das mehr als Zwanzigfache angeschwollen. Das ist ein fast doppelt so schnelles Wachstum im Vergleich zu den Staatsschulden, die sich im selben Zeitraum »nur« verdreizehnfacht haben.
Ein Großteil dieser privaten Schulden ist »faul« in dem Sinne, dass er niemals zurückgezahlt werden kann. Nicht nur, weil die volkswirtschaftlichen Auswirkungen verheerend wären, wenn die verschuldeten Familien jetzt tatsächlich über Jahrzehnte ihren Konsum so stark minimieren würden, dass sie Zins und Tilgung ihrer übermäßigen Schulden zahlen könnten. Sondern auch, weil ein Großteil von ihnen dazu garnicht in der Lage wäre. Das gilt für amerikanische Subprime-Hypothekenschuldner ebenso wie für die Besitzer überteuert gekaufter und oft zu 120 Prozent beliehener Eigenheime in Irland oder die in Euro verschuldeten Familien in Osteuropa, deren Schuldenstand mit jeder Abwertung ihrer regionalen Währung eskaliert. Es gilt auch für einen nicht geringen Teil der verschuldeten Unternehmen, zumal in einem wirtschaftlichen Umfeld von Stagnation oder gar Rezession.
All diese endlosen Kredite, die sich großenteils im Besitz von Versicherungen, Banken und allerlei dubiosen Finanzvehikeln befinden, müssen also irgendwann abgeschrieben werden. Kredite können aber nur abgeschrieben werden, wenn in gleicher Höhe auch Vermögenswerte vernichtet werden: entweder jene Vermögen, die mit den Schulden entstanden sind und auf ihnen basieren, oder die anderer Leute.
Sofern die wertlos gewordenen Schrottpapiere privaten Anlegern gehören, ist das einfach. Ist das Papier nichts mehr wert, ist auch das Vermögen des Anlegers weg. Auch bei Hedge-Fonds und anderen selbständigen Finanzinvestoren sind die Konsequenzen noch überschaubar, auch wenn Zusammenbrüche der größeren von ihnen das Finanzsystem durchaus erschüttern können. Wenn dagegen große amerikanische Pensionsfonds mit der Abschreibung der Kreditpapiere auch die Rentenzahlungen zusammenstreichen, bluten definitiv die Falschen und die Konsequenzen sind nicht nur sozial, sondern auch ökonomisch fatal.
Richtig kompliziert wird es in dem Augenblick, wo Großbanken und große Versicherungen betroffen sind. Ein Durchgriff auf private Vermögen würde im Falle von Bankenpleiten geschehen, weil dann deren Aktionäre und Gläubiger ebenfalls ihr Geld verlieren. Das träfe sicher überwiegend die Richtigen, die Herausforderung ist nur, in einem solchen Fall einen Flächenbrand zu verhindern, der am Ende auch die Spareinlagen der kleinen Leute mit erfasst. Unter diesem Vorwand wurden Bankenpleiten – mit Ausnahme von Lehman Brothers – bisher weitgehend von der Politik verhindert, selbst dann, wenn Banken wie die IKB oder die HRE betroffen waren, bei denen
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