Freiheit statt Kapitalismus
Szenario mit unabsehbaren politischen Folgen und eines, das man sich nicht wünschen sollte. Es ist, dessen ungeachtet, derzeit das wahrscheinlichste.
Zweite Variante: Können wir aus den Schulden »herauswachsen«?
Was wäre die Alternative? Kurzfristig ist die Forderung vollkommen richtig, dass die öffentliche Hand im Angesicht schlechter Wirtschaftsdaten nicht sparen darf, sondern die öffentlichen Defizite sogar ausweiten muss. Mehr öffentliche Investitionen und verbesserte Sozialleistungen sind nötig, nicht der Raubbau daran. Mittelfristig ist aber ebenso klar, dass es nicht darum gehen kann, den Wegbruch an Nachfrage wegen des Ausfalls schuldenfinanzierten Privatkonsums (der für Deutschland einen Ausfall entsprechender Exporte bedeutet) auf Dauer durch riesige öffentliche Defizite auszugleichen.
Näher liegt da schon, die volkswirtschaftliche Nachfrage durch eine radikale Umverteilung der Einkommen zu stabilisieren. Das bedeutet: Mindestlöhne, Stärkung der Gewerkschaften, Re-Regulierung des Arbeitsmarktes zur Veränderung der primären Einkommensverteilung, ein fundamental verändertes Steuersystem sowie einen Ausbau des Sozialstaates und höhere Renten zur Veränderung der sekundären Einkommensverteilung. Eine solche Konzeption, auf Deutschland angewandt, würde zugleich dazu beitragen, die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte zu verringern. Wir haben im Kapitel über die »schöpferische Zerstörung« die Schwierigkeit besprochen, ein solches Programm in zureichender Radikalität unter kapitalistischen Bedingungen durchzusetzen. In Verbindung mit einer Neugestaltung der Eigentumsordnung, auf die wir im letzten Teil dieses Buches ausführlich eingehen werden, wäre es allerdings durchführbar.
Wenn eine derart radikale Einkommensumverteilung und Stabilisierung der Einnahmebasis des Staates sich umsetzen lässt, kann die staatliche Neuverschuldung ohne wirtschaftlichen Schaden auf null zurückgefahren werden. Aber selbst dann bleibt immer noch das Problem der Altschulden, der staatlichen und der privaten. Dabei muss mandavon ausgehen, dass selbst im Falle eines grandiosen wirtschaftlichen Aufschwungs aus faulen Schulden keine guten Schulden mehr werden. Viele amerikanische Hypothekenbesitzer werden ihre Hypothek auch dann nicht mehr bedienen können, wenn die Wirtschaft wieder wächst. Auch die spanische Immobilienblase ist unwiderruflich geplatzt, und es sollte in niemandes Interesse liegen, solche Blasen künstlich wiederzubeleben. Damit lagern unverändert Billionen an toxischen Krediten (verbrieft oder unverbrieft, ausgewiesen oder versteckt) in den Bilanzen der Banken und sie werden sich auch im Falle einer wirtschaftlichen Erholung störend bemerkbar machen.
Hinzu kommen die Altschulden der Staaten. Als Faustregel gilt, dass Staaten dann aus ihren Schulden »hinauswachsen« können, wenn der Realzins um mindestens 2 Prozent niedriger als das wirtschaftliche Wachstum ist. Zurzeit bezahlt selbst die Bundesrepublik durchschnittlich 3,6 Prozent Zinsen auf ihre Anleihen. Bei einer Preissteigerung von 2 Prozent müsste das Wachstum bei knapp 4 Prozent liegen, um ein »Herauswachsen« aus den Schulden zu ermöglichen. Mit solchen Wachstumsraten ist auf absehbare Zeit nicht zu rechnen. Es ist also in der heutigen Situation völlig abwegig, auf ein »Herauswachsen« aus dem Schuldenberg zu hoffen.
Auch in der Vergangenheit hat sich ein solcher Weg der staatlichen Schuldenbefreiung übrigens nur in ganz wenigen Ausnahmefällen als gangbar erwiesen. Im Ergebnis einer Studie über Finanzkrisen in den letzten acht Jahrhunderten stellen die US-Ökonomen und Finanzwissenschaftler Carmen M. Reinhart und Kenneth S. Rogoff nüchtern fest, »dass Länder typischerweise nicht aus ihrer Schuldenlast herauswachsen …« 125
Dritte Variante: Wegsehen
Bleibt die These: Dann wachsen die Altschulden eben weiter, sie stören ja nicht. Oft wird dabei auf Japan verwiesen, das schon seit Jahren mit einem Schuldenberg von 200 Prozent des BIP lebt. Aber abgesehen davon, dass das japanische Modell ganz sicher kein Vorbild ist und die Spezifik zudem darin besteht, dass die Schulden überwiegend von Inländern gehalten werden, hat auch Japan mittlerweile mit Rating-Herabstufungenund somit drohenden Zinserhöhungen zu kämpfen. In jedem Fall bedeuten wachsende Schulden eine zunehmende Abhängigkeit von den Launen der Banken und anderer Finanzhaie, denn auch Deutschland ist nicht davor gefeit, seine Anleihen irgendwann nur
Weitere Kostenlose Bücher