Freitags Tod
sonst?«
»Sie sind blutverschmiert durch Coesfeld gewandert?«
»Ja. Nein. Ich habe mir die Hände abgespült und die Jacke unter den Arm geklemmt.«
»Und dann?«, fragte Sven.
»Habe ich mich geduscht, umgezogen und mich zu meiner Mutter gesetzt. Sie schlief.«
»Dann können wir sicher die Jacke für die kriminaltechnische Untersuchung bekommen.«
»Nein, die habe ich nicht mehr.«
»Was haben Sie damit gemacht?«
»Ich habe sie in den Müll geworfen.«
»In Ihre Mülltonne?«
Henry lächelte. »Nein, natürlich nicht. Ich habe sie in eine Tüte gepackt, bin am nächsten Tag nach Münster gefahren und habe sie in eine Tonne geworfen, die gerade an der Straße stand. Wenn Sie danach suchen wollen, wird es mühsam.«
Einerseits hatte sein Bericht authentisch gewirkt, andererseits glaubte Julia ihm nicht. Sie fragte sich, ob es daran lag, dass sie sich lieber Eck als Mörder vorstellen wollte, statt des sympathischen Psychiaters. Als sie ihn in seiner Wohnung befragt hatte, fühlte sie sich auf eigenartige Weise von ihm angezogen. Es war nicht so, dass er den Typ Sunnyboy verkörperte, eher hatte er etwas Intensives, fast Geheimnisvolles in seiner Art. Sie erinnerte sich, wie ihr Herzschlag sich beschleunigt hatte in seiner Gegenwart. Und jetzt, während sie auf seine schlanken Hände sah, mochte Julia sich nicht vorstellen, dass er ein Messer in die Brust des eigenen Vaters gerammt hatte. Julia atmete tief ein. Was weiter sollte sie fragen? Sven half ihr aus.
»Ihr Bericht hört sich wirklich so an, als seien Sie dabei gewesen. Was ich immer noch nicht richtig verstehe, ist, warum Sie es getan haben wollen.«
Henry setzte zu einer weiteren Erklärung an, aber Sven hob die Hand und stand auf. Er ging zum Fenster, kam wieder zurück und lehnte sich an einen Schrank. Julia wusste, dass ihm die Knie schmerzten, wenn er lange saß.
»Geben Sie uns einen Beweis für Ihre Täterschaft«, sagte er.
Es ist verrückt, dachte Julia, jetzt haben wir einen, der den Mord gesteht, und verpflichten ihn, auch noch die Beweise anzuschleppen. Aber Henry zuckte mit keiner Wimper, sondern griff in die Tasche, die er mitgebracht und neben seinem Stuhl abgestellt hatte.
Fast behutsam legte er ein Filetiermesser auf den Tisch.
Julia stockte der Atem. Auch Sven starrte auf das Objekt, als würde es jeden Moment ein Eigenleben entwickeln wollen. Das war’s also. Fertig. Sie hatten den Täter vor sich sitzen. Nachdem sich Sven aus seiner Erstarrung gelöst hatte, holte er eine Tüte aus dem Schrank und verstaute die Tatwaffe darin. Natürlich musste sie eingehend untersucht werden. Aber Julias Zweifel schwiegen plötzlich.
21
Die Einrichtung des Goldenen Sterns hatte den Charme der siebziger Jahre. Die psychedelischen Tapetenmuster an den Wänden in verblichenem Grün-Orange, die holzvertäfelte Decke und die klobigen Stühle hielten das Publikum offenbar nicht von einem Besuch ab. Bis auf einen waren alle Tische besetzt, als Conrad eintrat. Vielleicht lag es auch daran, dass der Goldene Stern das einzige Lokal am Ort, das einzige überhaupt im weiteren Umkreis war. In Brandenburg gab es wenige Straßen, noch weniger Orte und darin meist nur vor langer Zeit geschlossene Wirtschaften, aber jede Menge Landschaft.
Es roch nach Gebratenem und Conrad merkte, dass er Hunger hatte.
Eine junge, dunkelhaarige Kellnerin schlängelte sich mit drei appetitlich angerichteten Tellern an ihm vorbei. Hinter dem Tresen stand eine etwa Sechzigjährige in weißer Bluse, vielleicht die Wirtin. Sie stellte zwei frisch gezapfte Pils auf ein Tablett, dann wandte sie sich Conrad lächelnd zu. Er hätte sich gern ein Bier genommen, aber er verschob es.
»Guten Tag. Hätten Sie ein Zimmer für mich?«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Gerne. Nur für Sie, oder sind Sie in Begleitung?«
»Nein, ich bin allein hier. Und für zwei, drei Tage, so lange werde ich wohl bleiben müssen.
»Müssen?« Sie hob die Brauen, was ihr einen lustigen Ausdruck verlieh.
»Beruflich.« Conrad hatte keine Lust, sie aufzuklären.
So einfach gab sie sich aber nicht geschlagen. »Ich weiß ja nicht, was genau Sie bei uns zu tun haben«, sie machte eine hoffnungsvolle Pause, versuchte es über einen Umweg: »Wenn es Ihre Zeit erlaubt – hier gibt es einen wunderbaren See. Und bei dem warmen Wetter lohnt sich ein Ausflug dorthin. Höchstens eine halbe Stunde zu Fuß, aber man kann auch den Bus in Richtung Neustrelitz nehmen.«
»Danke.« Hoffentlich redet die nicht
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