Fremd fischen
Was mach ich bloß?»
« Na, wo hast du ihn denn verloren?»
Sie antwortet nicht, sondern weint weiter.
Ich wiederhole die Frage.
« Ich weiß nicht.»
« Wo hast du ihn zuletzt gesehen?», frage ich weiter.« Hattest du ihn heute bei der Arbeit noch? Hast du ihn zum Händewaschen abgenommen?»
« Nein, ich nehme ihn nie zum Händewaschen ab! Wer ist denn so blöd?»
Ich möchte ihr am liebsten sagen, sie soll mich nicht anfauchen, und schließlich sei sie selber blöd genug, ihren Verlobungsring zu verlieren. Aber ich zeige mich weiter mitfühlend und sage, dass der Ring bestimmt wieder auftauchen wird.
« Nein, er wird nicht wieder auftauchen», sagt sie schluchzend.
« Woher weißt du das?»
« Ich weiß es eben.»
Mir fällt nichts mehr ein.
« Kann ich vorbeikommen? Ich muss wirklich mit dir reden», sagt sie.
« Ja, komm.»Ich frage mich, ob vielleicht doch mehr dahinter steckt als nur ein verschwundener Ring.« Hast du schon gegessen?»
« Nein», sagt sie.«Kannst du mir eine Wantan-Suppe bestellen?»
« Ja.»
« Und eine Frühlingsrolle?»
« Ja. Komm vorbei.»
Ich rufe Tang Tang an und bestelle zweimal Wantan-Suppe, zwei Frühlingsrollen, zwei Sprite und einmal Rindfleisch-Brokkoli. Eine Viertelstunde später steht
Darcy vor der Tür. Sie sieht derangiert aus und trägt eine Levi’s, die ich von der High School kenne – sie passt ihr immer noch tadellos – und ein weißes Top. Sie ist ungeschminkt, ihre Augen sind gerötet, und ihr Haar ist zu einem schlampigen Pferdeschwanz zusammengebunden, aber sie schafft es trotzdem, hübsch auszusehen. Ich sage ihr, sie soll sich setzen und mir alles erzählen.
« Er ist weg.»Sie schüttelt den Kopf und hält die unberingte linke Hand hoch.
« Wo, glaubst du, hast du ihn verloren?», frage ich in aller Ruhe. Diese Übung habe ich schon hundertmal mit ihr gemacht. Immer helfe ich ihr, wische auf, was sie verschüttet, und trotte loyal in einem Kielwasser aus Tumult und Angst hinter ihr her.
« Ich hab ihn nicht verloren. Jemand hat ihn geklaut. »
« Wer hat ihn geklaut?»
« Jemand.»
« Woher weißt du das?»
« Weil er weg ist!»
So kommen wir nicht weiter. Seufzend befehle ich ihr, mir alles von Anfang an zu erzählen.
Sie schaut mich an. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, und ihre Lippen zittern ein bisschen.«Rachel …»
« Ja?»
« Du bist meine beste Freundin.»Sie fängt wieder an zu weinen. Die Tränen rollen anmutig über ihre glitzernden Wangen und fallen ihr in den Schoß. Sie hat immer sehr hübsch weinen können.
Ich nicke.«Ja.»
« Meine beste Freundin auf der ganzen Welt. Und ich muss dir etwas erzählen.»
« Du kannst mir alles erzählen.»Ich bin sehr besorgt, denn plötzlich bin ich sicher, dass Dex den ersten Schritt zur Trennung unternommen hat.
Sie sieht mich an und gibt ein wimmerndes Geräusch von sich. So selbstbewusst sie ist, sie kann unglaublich kläglich und wehrlos aussehen, wenn sie down ist. Und mein Instinkt hat mir immer befohlen, ihr zu helfen. Das tut er auch jetzt.«Erzähl’s mir, Darce», sage ich sanft.
« Rachel – ich – ich hab meinen Ring bei jemandem in der Wohnung abgenommen.»
« Okay?»
« Bei einem Typen in der Wohnung.»
Mir ist, als spähte ich durch einen Kamerasucher und versuchte, das Bild scharf zu stellen. Will sie wirklich sagen, was ich zu hören glaube?
« Rachel.»Jetzt flüstert Darcy.«Ich hab Dexter betrogen. »
Ich starre sie unverhohlen schockiert an.
Ja, Darcy flirtet. Ja, sie liebt das Risiko. Ja, sie ist egozentrisch. Und, ja, sie liebt männliche Aufmerksamkeit. Wenn ich die Summe dieser Attribute betrachte, leuchtet es ein. Es dürfte mich nicht überraschen, dass sie fremdgeht. Ich meine, Dex ist das alles nicht, und er tut es auch. Und trotzdem haut es mich um. Sie wird in weniger als zwei Monaten heiraten. Sie ist eine strahlende Braut mit einem umwerfenden Kleid – die Sorte, von der du als kleines Mädchen träumst. Und sie ist mit Dexter zusammen. Wie kann irgendjemand Dexter betrügen?
Die W-Fragen des Journalismus stehen mir vor Augen; ich schalte in den High-School-Reporter-Modus und mache ein Interview für den North Star .« Mit wem?»
Sie schnieft und lässt den Kopf hängen.«Mit einem aus der Firma.»
« Wann?»
« Ein paar Mal. Heute.»Sie reibt sich die Augen mit den Fäusten und sieht mich von der Seite her an.
Ich weiß nicht, ob mein Gesicht etwas verrät. Ich weiß nicht mal genau, was ich empfinde. Erleichterung?
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