Fremd fischen
lang und sagt dann, er habe eine gute Geschichte für mich.«Nur ungefähr zehn Prozent aus meiner Abschlussklasse an der High School sind aufs College gegangen», fängt er an.«Die meisten sind nicht mal zur Zulassungsprüfung gegangen. Aber ich hab sie gemacht, hab gut abgeschnitten, und dann hab ich mich in Georgetown beworben und bin angenommen worden. Natürlich hab ich das in der Schule niemandem erzählt; ich hab einfach weiter meinen Kram gemacht, mit meinen Kumpels rumgehangen und so weiter. Aber dann kriegen sie im Lehrerzimmer Wind von der Georgetown-Sache, und eines Tages übernimmt es mein Mathelehrer, Mr. Gilhooly, vor der ganzen Klasse die gute Nachricht zu verkünden.»
Er schüttelt den Kopf, als wäre die Erinnerung schmerzhaft.«Und alles sagt: ‹Na und? Is ja toll.›»Marcus imitiert seine gelangweilten Schulkollegen, indem er die Arme vor der Brust verschränkt und ein Gähnen imitiert.«Über diese Reaktion war Mr. Gilhooly offenbar stinksauer. Sie sollten das ganze Ausmaß ihrer Unzulänglichkeit und des drohenden Unheils begreifen. Also malte er eine Riesengraphik an die Tafel und verglich meine potenziellen Einkünfte als College-Absolvent mit ihren Einkünften als Kellner im
Schnellrestaurant. Und er zeigte, wie die Schere im Laufe der Zeit immer weiter auseinander geht.»
« Nein!»
« Doch. Und alles hockt da und denkt sich: ‹Scheiß auf Marcus.› Als ob ich mich auf einmal für einen ganz heißen Typen halten würde.»Marcus hebt die Hände in die Höhe.«Herzlichen Dank auch, Mr. Gilhooly. Hat mir ’ne Menge Freunde eingebracht.»
Ich lache.
« Und was sollte ich jetzt tun, verdammt? Jetzt hatte ich mein Streber-Image zu bekämpfen. Also reiß ich mir ein Bein aus, um allen zu zeigen, dass mir die Uni am Arsch vorbeigeht. Ich fing an, jeden Tag zu kiffen, und damit hab ich auch am College nicht aufgehört. Daher kommt auch mein Abschluss als Zweitschlechtester in Georgetown, verstehst du? Von dem Ding mit der Fernbedienung hast du bestimmt gehört, oder?»Er knibbelt am Etikett seines Heineken herum.
Ich lächle und klopfe ihm auf die Finger.«Ja, die Geschichte kenn ich. Bloß warst du in der Version, die ich gehört hab, der Allerschlechteste.»
« O Mann!»Marcus schüttelt den Kopf.«Dex kriegt das nie auf die Reihe. Mit meinen eins Komma sechs sieben hab ich noch einen übertroffen! Ich war Vorletzter, Mann! Vorletzter!»
Zwei Drinks später schaue ich auf die Uhr und sage, es wird spät.
« Okay. Ich bring dich nach Hause, ja?»
« Gern.»
Wir spazieren rüber zur Third Avenue und bleiben vor meinem Haus stehen.
« Tja, gute Nacht, Marcus. Vielen Dank für das Essen. War ein wirklich schöner Abend.»Das meine ich ernst.
« Ja. Finde ich auch. War schön.»Er fährt sich schnell mit der Zunge über die Lippen. Ich weiß, was jetzt kommt.«Und ich bin froh, dass wir diesen Sommer im selben Haus wohnen.»
« Ich auch.»
Dann fragt er, ob er mich küssen darf. Diese Frage kann ich normalerweise nicht leiden. Tu’s einfach , denke ich immer. Aber aus irgendeinem Grunde stört sie mich bei Marcus nicht.
Ich nicke, und er beugt sich vor und gibt mir einen mittellangen Kuss.
Wir lösen uns wieder. Mein Herz macht keine Sprünge, aber ich bin zufrieden.
« Glaubst du, Darcy und Dex haben auch darauf gewettet?», fragt er.
Ich muss lachen, denn das Gleiche habe ich mich auch gefragt.
« Und – wie ist es gelaufen?», schreit Darcy am nächsten Morgen ins Telefon.
Ich bin soeben tropfnass aus der Dusche gekommen.« Wo bist du?»
« Im Auto mit Dex. Wir sind auf dem Rückweg in die Stadt», sagt sie.«Wir waren Antiquitäten stöbern. Erinnerst du dich?»
« Ja», sage ich.«Ich erinnere mich.»
« Wie ist es gelaufen?»Sie lässt eine Kaugummiblase platzen. Kann nicht mal warten, bis sie zu Hause ist, ehe sie alles über mein Date erfährt.
Ich antworte nicht.
« Na?»
« Die Verbindung ist schlecht. Dein Handynetz ist überlastet», lüge ich.«Ich kann dich nicht hören.»
« Lüg nicht. Los, was war?»
« Was soll gewesen sein?»
« Rachel! Stell dich nicht dumm. Erzähl mir, wie dein Date war! Wir sterben vor Neugier.»
Ich höre Dex wie ein Echo im Hintergrund.«Ja, wir sterben vor Neugier!»
« Es war ein netter Abend», sage ich und versuche, mir ein Handtuch um den Kopf zu wickeln, ohne den Hörer fallen zu lassen.
Sie quiekt.«Ja! Ich hab’s gewusst! Also – Einzelheiten! Einzelheiten!»
Ich erzähle ihr, dass wir im«Clementine»waren
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