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Fremd küssen. Roman

Fremd küssen. Roman

Titel: Fremd küssen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi von Wolff
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unterstrichen, rechts und links davon befinden sich je drei Ausrufungszeichen.
    Ich konzentriere mich auf die Cellulitisbehandlung. Das würde mir vielleicht auch nicht schlecht tun. Auch hierzu gibt es ein Foto, das allerdings durch zu viel Sonneneinstrahlung durchs Fenster etwas vergilbt ist und wellig. Eine drei Zentner schwere Frau sitzt verlassen in Frotteetücher wie in eine Zwangsjacke gepackt auf einem Stuhl. Unter den Tüchern kommen an allen möglichen Enden Kabel hervor. »Neu!! Neu!! NUR hier!!! Elektroden-Wasserbehandlung!!! Sie sitzen gemütlich und lesen Zeitung und nehmen ab, ohne etwas dafür zu tun!« Wie, bitte, soll man in einer Zwangsjacke gefesselt Zeitung lesen? Die Drei-Zentner-Dame schaut gequält, versucht aber trotzdem, in die Kamera zu lächeln. Ich gehe davon aus, dass sie eine Elektroden-Wasserbehandlung für das Foto spendiert bekommen hat. Sie erinnert mich an ein deformiertes Michelinmännchen, das zu lange im Fahrtwind auf der Kühlerhaube eines LKWs zugebracht hat.
    Ich entschließe mich, auf die Cellulitebehandlung zu verzichten, und betrete das Happy-Sun-Sonnenstudio. Das Erste, was mir entgegenlacht, ist ein riesengroßes Ölbild, auf dem eine verschmitzt grinsende Sonne zu sehen ist, die eine schwarze Sonnenbrille trägt. Quer über dem Bild steht: »Sonnen NUR bei Happy Sun!« Ah ja. »Hallo!«, rufe ich.
    Niemand antwortet. Ich schaue mich um. Eine Plastik-Yucca-Palme in der einen Ecke, die lange nicht abgestaubt wurde. In der Palme hängt ein Stoffaffe, der winkt. Die Arme sind so verdreht, dass man annehmen könnte, sie wären ihm von einem Einheimischen gebrochen worden. Hinter der Palme an der Wand klebt eine Fototapete, die einen Sonnenaufgang in der Karibik darstellen soll. Ein Boot dümpelt in der trägen Gischt leise vor sich hin. Vor der Wand und um den Palmenübertopf hat jemand, der es gut meinte, versucht, mithilfe von Jutesäcken, die in Schichten übereinander liegen, den Eindruck zu erwecken, es handle sich hierbei um Sand. Ist man auf einem Auge blind und am anderen am grünen Star erkrankt, könnte man es bestimmt glauben. Der Rest des Bodenbelages besteht aus Teppichboden, auf dem Bleistifte in allen möglichen Farben zu sehen sind, die lustige Kringel oder Kreuze gezeichnet haben.
    Ich wende mich zum Empfangsbereich. Eine anthrazitfarbene Theke mit Barhockern aus Chrom davor, die Sitzflächen sind mit Kunstleder überzogen. Ein großes Plakat hinter der Theke, auf dem steht: »Sonnen ja, aber richtig!« Daneben eine Preisliste für Getränke: »Piccolöchen NUR 4 €«, »Bierchen NUR 3 €!« Und es gibt eine vergrößerte Fotografie mit ungefähr drei Millionen dunkelbraunen Menschen darauf. Die Männer tragen überwiegend neonfarbene Jogginghosen und Goldkettchen, die Frauen haben knallrosa geschminkte Lippen und blond gefärbte Haare. Die dunkle Naturfarbe wächst am Haaransatz schon nach. Alle werfen Konfetti und grinsen in die Kamera. Unter das Foto hat jemand (natürlich auch mit Edding) geschrieben: » 5  Jahre Happy Sun! Das wird gefeiert!!!«
    Das ist ja richtig trash und hip hier. Henning hätte bestimmt seine Freude daran. Ich rufe nochmals »Hallo!«. Niemand antwortet, dafür höre ich aus einer der Sonnenkabinen Lärm. »Mega Sun – Pigmentierungsbräuner« steht an der Tür der Kabine. Außerdem:
    »Achtung!!! NEUE Röhren!!! Unbedingt Höchstbesonnungszeit einhalten!!!« Eine Frau taumelt aus der Kabine. Ihr Gesicht ist so rot wie das eines Sioux. Offensichtlich hat sie die Höchstbesonnungszeit nicht eingehalten.
    »Kerle, Kerle!«, ruft die Frau. »Du liebe Godd. Des hat mer grad noch gefehlt!« Sie erblickt mich und schreit auf. »Was mache Sie dann hier!«, keift sie mich an.
    Ich stelle mich vor und weise darauf hin, um 14 Uhr einen Termin zu haben. Die Gesichtszüge der Frau entspannen sich. »Ach, Sie sin des! Ja, stelle Se sisch vor, isch bin unner der Sonnebank
    eigeschlaafe! Des bassiert mer immer widder! Dabei is des Gift für die Haut!«
    Ich nicke verständnisvoll, habe aber insgeheim die Befürchtung, dass man diese Haut ohnehin nicht mehr retten kann. »Soll ich vielleicht ein anderes Mal wiederkommen, wenn es Ihnen jetzt nicht gut geht?«, frage ich mitleidig und auch gleichzeitig ängstlich. Wenn diese Frau es mit jedem ihrer Kunden so gut meint wie mit ihrer Haut, ahne ich Schlimmes.
    Die Dame winkt energisch ab. »Nix da. Sie habbe Ihrn Termin, un den ziehn mer jetzt dorsch!«
    Sie sinkt hinter der Theke auf einen

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