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Fremd küssen. Roman

Fremd küssen. Roman

Titel: Fremd küssen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi von Wolff
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hier rund!« Pitbull sieht mich an und grinst. »Du bist ’ne Marke«, sagt er. »Mit dir könnte ich mir das sogar vorstellen!« (Er findet mich attraktiv,
    er findet mich attraktiv!!!) Ich versuche, ihn lasziv und geheimnisvoll anzulächeln, ungefähr so wie Nadja Auermann Helmut Newton, als sie ihn davon überzeugen wollte, dass ein Fotoshooting mit ihr das Nonplusultra sei. Pitbull lächelt zurück und streicht mir sanft über die Wange (Zärtlichkeit, hach, wie lange ist das her … sag das Wort, sag das Wort … ) Er sagt: »Du … « Ich schmelze dahin. » ...da klebt noch Sauerkraut an deiner Backe. Ich mach das mal weg. Muss ja nicht sein.« Er entfernt einen Klumpen und lässt ihn zu Boden fallen. »Du bist ’ne nette Frau«, sagt Pitbull. »Mit dir kann man so richtig einen draufmachen.«
    Scheiße, wieder nichts. Warum habe ich eigentlich keinen Penis? Ich wette, alle Schwulen würden mit mir vögeln wollen! Als Frau habe ich jedenfalls sexuell versagt. Es sei denn, der Mann heißt Robert Redford und hat weinende Harlekins an den Wänden.
    »Mal im Ernst«, sagt Pitbull. »Das mit dem Swingerclub ist eine geniale Idee. Wir müssen das finanziell mal durchkalkulieren. Geht nicht gibt’s nicht, sag ich ja immer, aber man muss trotzdem geldmäßig in einigermaßen trockenen Tüchern bleiben.«
    Geht nicht gibt’s nicht. In trockenen Tüchern … Mich schüttelt’s. Ich hasse solche Sprüche. Schon immer gehasst.
    Meine Oma ist in solchen Sprüchen aufgelebt. Den ganzen lieben langen Tag nur Sachen wie: »Heute ist Schmalhans Küchenmeister.« Oder: »Carolin, steh auf, es ist zwar Sonntag, aber schon fünf Uhr morgens, du weißt ja, der frühe Vogel fängt den Wurm.« Und wenn ich mich darüber beschwert habe, dass ich übers Wochenende ein Zimmer mit allen anderen Enkelkindern teilen musste, hieß es immer: »Na, na, na, Platz ist in der kleinsten Hütte!« Ein anderer Lieblingsspruch meiner Oma (wenn ihr nicht gefallen hat, was wir klamottenmäßig trugen) war: »Kinners, das ist Mummenschanz!« Vor diesem Wort hatte ich Angst. Mummenschanz klang immer gefährlich. Wer Mummenschanz betrieb, hatte Dreck am Stecken und keiner durfte es wissen. Wenn irgendjemand von uns in der Schule eine schlechte Note schrieb, kommentierte Oma das mit dem Satz: »Ach, noch ist nicht aller Tage Abend … « Und wenn wir zusammen bei irgendwas erwischt wurden, hieß es immer: »Mitgehangen, mitgefangen.« Buuuh. Ich muss damit sofort aufhören, sonst werde ich wahnsinnig.
    Pitbull hat natürlich Recht. Rumspinnen kann man viel, aber so ein Club braucht ja auch das entsprechende Mobiliar, und das muss strapazierfähig sein (schließlich wollen Irene und Hubert aus Sulzbach während der Nummer mit der bisexuellen Heidi aus Sachsenhausen nicht irgendwann auf dem bloßen Lattenrost liegen). »Ich werde morgen meine Idee mal mit ein paar Freunden durchsprechen«, sage ich zu Pitbull. »Mal sehen, was die davon halten.« »Werde ich auch tun«, sagt Pitbull. »Lass uns dann mal gemeinsam zur Bank gehen. Zu zweit ist man stärker. Hahaha!« Er gibt mir einen lieb gemeinten Klaps auf die Schulter. Ich habe das Gefühl, sie bricht in der Mitte durch.
     
    Endlich zu Hause. Zu Hause. Grrrr, ich bin so müde. Eigentlich lohnt es sich gar nicht mehr, ins Bett zu gehen. Ich könnte ja einfach ein heißes Bad nehmen, um wieder fit zu werden, und dann als eine der Ersten in der Redaktion sein. Eine gute Idee! Während das Badewasser einläuft, will ich meine Kontaktlinsen aus den Augen holen. Ich erstarre und schaue weiter blicklos in den Spiegel über dem Waschbecken. Was ist das? Mmmpff. Zwei graue Haare. Und das? Arrrgh. Falten um meine Augen. Falten um meine Augen. Falten um meine Augen. Ich merke, wie die Tränen der Verzweiflung einfach so aus denselben laufen. Ich merke zu spät, dass meine Kontaktlinsen rausgeschwemmt werden, im Abfluss des Waschbeckens noch einen netten Kreis drehen und dann in den Abgründen der Kanalisation verschwinden. Meine Nerven. Meine Nerven. Erst mal tief durchatmen, auf den Badewannenrand setzen und entspannen. Mir wird ganz schwummrig. Ich muss mich abstützen. Gott sei Dank ist der Wasserhahn über der Badewanne in der Nähe. Leider reiße ich ihn aus der Wand, als ich mich daran festhalte. Das Wasser schießt nun in einer strahlenden waagerechten Fontäne ungehindert in mein Badezimmer. Ungehindert, denn die Armaturen halte ich ja in meinen Händen. Mein Leben ist vorbei. Nichts wird mehr sein,

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