Fremd küssen. Roman
sträußeweise Blumen gepflückt, habe geputzt, gebügelt und bin einkaufen gegangen. Und habe immer gehofft, dass sie mich dadurch mehr lieben würde. Irgendwann heiratete meine Mutter dann und als ich elf war, kam meine erste Halbschwester zur Welt. Jetzt war ich erst recht abgemeldet, habe aber immer noch versucht, jedem alles recht zu machen. Ich badete und wickelte und fütterte die Kleine, stand nachts auf, wenn sie schrie, und so ging es in einem fort. Trotzdem bekam ich immer nur zu hören, welch eine Belastung ich doch wäre und wie schön das Leben ohne Kinder doch wäre. Ich Versagerin schrieb dann zu allem Überfluss eine Zwei plus in Deutsch, obwohl ich immer nur mit Einsen geglänzt hatte. Das nahm meine Mutter zum Anlass, mir eine Schüssel gegen die Nase zu werfen.
Mit der Zeit bekam ich noch zwei weitere Halbgeschwister dazu. Ich glaube, wir sind alle elternhausgeschädigt.
Wenn man ständig gesagt bekommt, dass aus einem nichts wird und dass man in der Gosse landen wird, wird das entweder irgendwann zur Realität oder man ist so ehrgeizig, unbedingt das Gegenteil zu erreichen. Letzteres war bei mir der Fall. Ich bin mit 17 von zu Hause ausgezogen und habe versucht, mein Leben einigermaßen in den Griff zu bekommen. Das Resultat ist ja bekannt.
Pitbull nimmt meine Hand und drückt sie. »Mädchen, Mädchen«, sagt er. »Du hast ja auch schon was mitgemacht.« Ich bin so gerührt, dass ich fast anfange zu weinen.
Mittlerweile ist es fast drei Uhr, aber beim »Schorsch« sind immer noch alle am Trinken und Feiern. Obwohl es ein stinknormaler Montag ist. Mit Entsetzen denke ich daran, dass ich morgen arbeiten muss. Ich scheine die Einzige zu sein, bestimmt sind alle anderen arbeitslos oder haben dunkle Geschäfte laufen, bei denen das Schwarzgeld nur so fließt. Jemand wirft Geld in die Jukebox. Gleich darauf ertönt Hans Albers’ grantige Stimme und singt »Auf der Reeperbahn nachts um halb eins … «. Hilf Himmel, dieses Lied habe ich Jahrzehnte nicht mehr gehört. Ich MUSS tanzen! Eine halbe Minute später wiege ich mich mit Pitbull Panther im Takt und wir grölen lautstark mit. Alle anderen schunkeln und schlagen im Takt auf die Tische. Ich muss so lachen wie lange nicht mehr. Pitbull wirbelt mich herum und kann den ganzen Text auswendig mitsingen. Mir ist heiß und ich ziehe während einer Umdrehung mein Oberteil aus und werfe es in die Menge, was mit tosendem Applaus honoriert wird. Mein Sport- BH von Schiesser ist zwar nicht erotisch, aber das ist mir auch egal. Die beiden Nutten, die bei uns gesessen haben, tun es mir nach, und so tanzen wir gleich darauf alle fast nackt in der Wirtschaft herum. Ich habe mich lange nicht mehr so amüsiert.
Dann holt Pitbull uns noch Bier, ich trinke mit Jacqueline und Iris (so heißen die Nutten) auch Brüderschaft und lasse mir erklären, wie man die Freier am besten ablinkt und welche Stellungen die meisten bevorzugen. Ich erzähle von meinem One-Night-Stand mit Robert Redford, was beide mit kreischenden »Aaaahs« und »Oooohs« kommentieren. Es ist ein sehr lustiger Abend. Jacqueline erzählt mir auf der Toilette, dass die Männer ja eigentlich nur zu Huren gehen, weil ihre Frauen sexuell so inaktiv wären, und alles ganz anders wäre, wenn die mit ihren Männern mal neue Sachen im Bett ausprobieren würden. Sex wäre immer noch ein Tabuthema in deutschen Ehen und da bestünde dringender Handlungsbedarf. Sie sagt, dass ihre Freundin in München einen Swingerclub betreiben würde. Der würde boomen. Wäre jedes Wochenende brechend voll und auch unter der Woche zu den so genannten Mottofeten kämen unglaublich viele Leute. »So was gibt’s hier im Umkreis von 100 Kilometern nicht«, meint sie. Ich kenne mich damit nicht so aus, aber sie wird ja wissen, wovon sie spricht.
Gegen fünf Uhr verlassen Pitbull, Dead or alive und ich die Kneipe und wanken auf die Straße. Mir geht die Aussage von Jacqueline nicht aus dem Kopf. Wenn es hier in der Gegend wirklich keinen Swingerclub gibt, dann ist das doch voll die Marktlücke. Ich hake mich bei Pitbull unter. »Sag mal«, frage ich, »warst du schon mal in ’nem Swingerclub?«
Pitbull lacht. »Einmal« antwortet er, »in Hamburg.« »Gibt’s hier so was?«, will ich von ihm wissen. Er meint, dass er davon noch nichts gehört hätte. Ich bleibe stehen. »Weißt du, was wir machen?«, frage ich. Er schaut mich an. »Wir eröffnen einen Swingerclub. Du und ich! Hier irgendwo in der Nähe. Und dann geht’s
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