Fremd küssen. Roman
begrüßt. Bestimmt sind auch Mörder dabei. Susanne würde mich umbringen, wenn sie wüsste, dass ich hier bin.
Pitbull bestellt uns Bier und Korn und wir setzen uns auf zwei freie Stühle an einen Tisch. Neben mir unterhalten sich zwei Prostituierte, die offensichtlich einen guten Tag hatten. Von den Einnahmen her gesehen zumindest. Sie reden so laut, dass man zuhören MUSS . Ich erfahre, dass der erste Freier der einen heute unbedingt ohne Gummi wollte, aber bereit war, dann auch fünfzig Euro mehr zu bezahlen. Die andere hatte Glück bei Kunde Nummer sieben. Der zahlte fünfhundert Euro dafür, dass sie sich als Lehrerin verkleidete und die Haare zu einem Dutt frisierte. Wofür rackere ich mich eigentlich in der Redaktion ab, wenn man fünfhundert Euro dafür bekommt, wenn man die Lehrerin spielt? Für fünfhundert Euro würde ich mir zusätzlich noch ein Nadelstreifenkostüm anziehen und eine schwarze Hornbrille auf die Nase setzen. Aber ich möchte mich ungern in das Gespräch einmischen. Wer weiß, wie das endet.
Pitbull fragt mich, wer ich eigentlich bin und was ich so mache. Ich erzähle bereitwillig, hier ist sowieso alles egal. Von Pitbull erfahre ich, dass er 37 ist, geschieden und hunderttausend Euro Schulden hat, was er seiner Exfrau, der dummen Schlampe, zu verdanken hat. Es gab Zeiten, da hat Pitbull sich mit Dead or alive eine Dose Chappi geteilt. Die mit Hirn schmeckten fast wie Corned beef. Auf Dead or alive lässt Pitbull nichts kommen, der Hund wäre sein bester Freund, sagt er. Zwischendurch holt Pitbull neues Bier und neuen Schnaps. Ich merke, dass ich kaum was gegessen habe heute, und bin bald angeheitert – und nach dem vierten Bier und dem dritten Schnaps sturzbetrunken. Irgendwann trinke ich mit Pitbull Brüderschaft und auch mit der halben Kneipe. Ich mache auch einen Termin mit Rapid Joe aus, der ein Tätowierstudio hat und mir günstig einen Teufel, der Feuer spuckt, auf die linke Brust platzieren wird.
Es macht Spaß, sich mit Pitbull zu unterhalten. Er hat sogar mal Betriebswirtschaft studiert, dann aber gemerkt, dass er lieber was anderes machen möchte, und hat dann mit seiner damaligen Freundin eine Kneipe aufgemacht und sie kurze Zeit später geheiratet. Die Freundin, nicht die Kneipe. Die Tusse hat ihn aber wohl die ganze Zeit über betrogen, Abrechnungen gefälscht und das Geld eingesackt. Dann ging die Kneipe den Bach runter und Pitbull war alleine haftbar, weil sie auf ihn lief. An dem Tag, an dem der Gerichtsvollzieher kam, hat seine Frau ihm noch hämisch erzählt, dass sie einen anderen hätte, der zehn Jahre jünger wäre als er, Pitbull, und sich aus dem Staub gemacht. Das Geld befand sich da schon auf dem Konto des anderen und Pitbull stand mit über hunderttausend Euro Schulden da. Er hat sich damals geschworen, dass ihm so was nie wieder passieren wird und dass er sich niemals mehr mit einer Frau einlassen wird. »Sie hat mir mein Herz gebrochen!«, sagt Pitbull zu mir. »Aber ich werde es irgendwie allen zeigen. Ich weiß nur noch nicht, wie. Ich bin am Hin- und Her-überlegen, wie man zu Geld kommen kann. Es muss irgendwas ganz Außergewöhnliches sein!«
Ich stimme ihm zu. So viele Schulden habe ich zwar nicht, aber mein Konto ist auch dauernd überzogen. »Ich würde gerne etwas machen, was noch nie da war«, sage ich. »Also zusätzlich zu meinem Job. Irgendwas, wo dann alle sagen: Wow! Die traut sich was. Hätten wir von der nie gedacht!«
Pitbull nickt. »Warum willst du so was machen?«, fragt er mich. »Du hast doch einen guten Job, was ist der Anlass?«
Ich erzähle Pitbull meine ganzen Pechstorys, von meinem nicht vorhandenen Selbstbewusstsein und meiner ätzenden Kindheit, die wohl letztendlich der Grund für meine naiv-gutmütige Art ist …
Solange ich zurückdenken kann, hat meine Mutter mir nicht ein Mal gesagt, dass sie mich lieb hat. Im Gegenteil. Ich, das uneheliche Kind, war immer an allem schuld. Egal, ob das Wetter schlecht oder die Kartoffeln angebrannt waren. Meine Mutter hat es meinem Vater nie verziehen, dass er sich nicht hat scheiden lassen, als ich unterwegs war. Aber er zog es vor, bei seiner schon bestehenden Familie zu bleiben. Meine Mutter hat irgendwann mal zugegeben, dass ich quasi nur »Mittel zum Zweck« war. Und als dann klar war, dass er nie zu uns kommen würde, fand meine Mutter es gar nicht mehr so toll, dass es mich gab. Ich weiß noch, dass ich ständig irgendetwas tat, um mir ihre Liebe zu erkaufen. Ich habe
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