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Fremd küssen. Roman

Fremd küssen. Roman

Titel: Fremd küssen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi von Wolff
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wie es vorher war.
    Nichts, nichts, nichts.
    Das Einzige, was ich noch fertigbringe, ist, zum Telefon zu greifen und Richard anzurufen. Fünf Minuten später klopft es an meiner Tür. Wie immer erkennt er sofort die Situation, läuft in die Küche und dreht den Haupthahn ab. In der Wohnung unter mir höre ich derweil Familie Zimmermann laut lamentieren. Offenbar ist das Wasser bereits durch die Decke getropft. »Zweihundert Euro im Waschbecken«, höre ich mich murmeln. »Vierhundert Mark.«
    Richard läuft zum Waschbecken. »Hier liegt kein Geld«, sagt er. Er weiß natürlich nicht, dass ich meine Kontaktlinsen (rechts minus 2 , 25 , links minus 2 , 0 Dioptrien) meine. Aber tut das noch irgendwas zur Sache?
    Die ganze Geschichte kostet letztendlich achtzehntausendsiebenhundertzweiunddreißig Euro und siebzehn Cent. Die Badezimmerdecke von Familie Zimmermann muss trocken gelegt und bei mir müssen neue Bodenfliesen verlegt werden. Gott sei Dank bin ich gut versichert. Ich habe den Bündelbonus bei der Allianz, worüber sonst alle lachen. Hat man mehr als drei Versicherungen bei der Allianz, wird es billiger. Mein Kollege Bob meinte irgendwann mal, eine Versicherung bei der Allianz zu haben sei dasselbe, als würde man versuchen, mit einem Porsche Carrera im ersten Gang bei 180 umweltfreundlich zu fahren. Er hat sich quasi totgelacht über den Bündelbonus. Als ich dann irgendwann beim Einkaufen mit ihm mal feststellte, dass er die »Scannycard« von Karstadt hatte, war er der Gelackmeierte: »Aber da kriegt man doch drei Prozent Nachlass auf alles, was man kauft.« Lohnt sich wirklich total, wenn ein Liter Milch regulär acht Euro fünfundfünfzig kostet. Jaja. An den kleinen Dingen soll man sparen … Aber egal. Alles egal.

8

    Ich bin so müde. Richard kocht mir Kaffee. Es ist halb sieben Uhr morgens. Ich bin eine alte Frau mit Ringen unter den Augen, ackerfurchentiefen Falten am kompletten Körper und schlohweißem Haar. Dazu kommt noch der gebückte Gang. Ich werde mir heute einen Gehstock kaufen. Vielleicht kriege ich dann wenigstens einen Sitzplatz in der U-Bahn.
    Richard ist wirklich rührend. Er holt Brötchen und belegt sie mir mit Aufschnitt und Käse und behauptet, nach sieben schlechten Jahren würden sieben gute folgen. Meine Hand zittert, als ich nach der Kaffeetasse greife (das ist das Alter).
     
    Ich schleppe mich mit letzter Kraft in den Sender. Kaffee Kaffee Kaffee. Wir haben eine hypermoderne Espresso-Kaffee-Cappuccino-Café-au-lait-kleine-Tasse-große-Tasse-mittlere-Tasse-halb-Kaffee-halb-Milch-Maschine dort stehen. Der aufgeklebte Spruch: »Achtung, Achtung! NUR echte Bohnen einfüllen, kein Pulver! Oder wollt ihr Spülwasser trinken?« warnt uns vor Missbrauch des zweieinhalbtausend Euro teuren Geräts. Ich hasse diese Maschine. Bevor sie einem Kaffee, Cappuccino oder Espresso in eine Tasse füllt, muss man erst irgendwas leisten. Das steht dann auf so einem bekloppten Display. Entweder: »Wasser nachfüllen« oder: »Trester leeren« oder: »Schale leeren« oder: »Gerät verkalkt« (was ganz tragisch ist, das Entkalken mit Spezialtabletten aus der Schweiz dauert ein Vierteljahrhundert). Gott sei Dank steht »Kaffee bereit« auf dem Display, als ich mir eine Tasse holen will. Ich atme auf. Nie habe ich mich auf den ersten Schluck so gefreut. Eine halbe Zehntelsekunde später spucke ich alles auf den Redaktionsteppich. Irgendjemand hat (haha, wie witzig!) Spiralnudeln statt Kaffeebohnen in den Trichter gefüllt. Ich kann darüber nicht lachen. Wie gesagt, ich bin eine alte Frau.
    Man schickt mich gegen 11 Uhr nach Hause. Sagt, ich würde den Redaktionsalltag blockieren. Ich speichere Sachen falsch im Sendeplan ab und frage Kooperationspartner am Telefon, wie es ist, mit Kukident- 3 -Phasen zu leben, oder ob sie ein billiges Altenheim empfehlen könnten. Dann suche ich während eines Telefonats einen Kugelschreiber und wickle mich versehentlich elfmal um die Telefonschnur. Ich rauche im Büro (obwohl es nur im Foyer erlaubt ist), woraufhin der Rauchmelder losgeht. Die Feuerwehr rückt mit Gasmasken an. Der Einsatz dauert zwei Stunden, alles muss den Rundbau verlassen, der Morgenmoderator fährt ein Sendeloch nach dem anderen, weil er durch aufgeregte Anrufe der Kollegen im Studio überfordert ist (wegen mir, der alten Frau, die nichts mehr auf die Reihe kriegt, wo ist der Stock?), und irgendwann schließe ich mich auf der Toilette ein, um nachzudenken. Dabei schlafe ich ein. Die Tür wird vom

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