Fremd küssen. Roman
später sitzen wir auf den wackligen Schanktischstühlen und trinken lauwarmes Bier aus der Dose. Pitbull steht daneben und schüttelt den Kopf. Der Mann mit dem Vorschlaghammer befindet sich mittlerweile bei Richard im oberen Stockwerk und misst die Räumlichkeiten aus. Wie sich herausstellte, ist er kein Hammermörder, sondern heißt Leopold und ist einer der Schwarzarbeiter, die Pinki organisiert hat. Zwischenzeitlich wurden auch die Menschenknochen identifiziert und es stellte sich heraus, dass es sich um einen vergessenen Iltis handelte, der vor ungefähr fünf Jahren den Weg aus dem Kühlschrank nicht mehr herausgefunden hat.
Ich bin trotzdem fix und fertig. Es ist mittlerweile weit nach 22
Uhr und ich bin schrecklich müde. Morgen werde ich mir einen Tag Urlaub nehmen. Ich halte das alles sonst nicht aus. Und mittags wollen wir nach Einrichtungsgegenständen im Wohncenter Günstig & Gut schauen gehen. Der ganze Tross. Das wird was geben. Ich brauche zwei Tage Urlaub.
Eine entsetzliche Vorstellung, jetzt alleine nach Hause gehen zu müssen. Ich frage Gero, ob er bei mir schläft, und er ist zu willensschwach, um nein zu sagen.
Am nächsten Morgen frühstücken wir ausgiebig, davor mache ich die zwei Urlaubstage klar und melde Gero krank, was wie immer bei Höbau-Müller ein schwieriges Unterfangen ist. Ich meistere es trotzdem mit Bravour. Es ist im Übrigen keine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, weder Susanne noch Marius Mistenhagen haben vor, irgendetwas klarzustellen bei mir. Bitte. Bitte. Ich werde aus dieser Situation lernen, eiskalt werden und niemals mehr meine Gefühle vor irgendeinem Menschen offenbaren. Schon in einigen Wochen wird mir der Ruf vorauseilen, ich sei berechnend und unterkühlt (herrliches Wort, herrlich, herrlich), und Menschen, mit denen ich einen Termin habe, werden sich ihre Strickjacken anziehen müssen, wenn ich Konferenzräume betrete.
Ich sehe mich mit hochgezogenen Augenbrauen die Leute mustern, die unter meinen Blicken zu Säuglingen mutieren. Eine Vorstellung, die mit einer Portion Pasta mista mit Doppelsahnesoße zu vergleichen ist. Leider, wie gesagt, nur eine Vorstellung.
Gero und ich kochen uns noch eine Kanne Kaffee, ziehen uns ausgeleierte Jogginghosen von mir an und legen uns aufs Sofa, um durch die Sender zu zappen. Das Telefon stöpsle ich vorsichtshalber aus. Nicht auszudenken, wenn Henning oder Zladko anrufen und mich in stundenlange Gespräche verwickeln, während auf RTL Dr.Stefan Frank läuft. Es gibt ja nichts Trivialeres als RTL oder Pro Sieben. Deswegen liebe ich diese Sender. Und ich liebe Arztgeschichten, die immer gut ausgehen. Was seinerzeit die Schwarzwaldklinik war, ist jetzt Dr.Frank. In den Folgen scheint immer die Sonne, die Menschen haben ausreichend Geld und Terrakottakübel, in denen teure Topfpflanzen wachsen, während ein Jaguar- XK 8 -Cabriolet darauf wartet, dass man mit ihm zum Shopping fährt. Es gibt grundsätzlich Hauspersonal (Hedi, die Köchin, ist immer etwas zu füllig, backt aber prima gedeckten Apfelkuchen und ist stets liebevoll am Meckern, und Franz, der Chauffeur, repariert auch alles im Haus, ist den Kindern ein liebevoller Opa und kümmert sich gern um die Reitpferde). Irgendetwas Tragisches muss natürlich in jeder Folge passieren, sprich, jemand ist schlimm krank oder hat einen Unfall und Stefan Frank fährt mit quietschenden Reifen los und trifft dann an der Unfallstelle oder bei einem Hausbesuch Doris Werner, die wiederum Tierärztin und Single ist und eigentlich gar keine feste Beziehung möchte. Aber die beiden blicken sich unter einer Kuckucksuhr an, ihre Blicke verschmelzen und Dr.Frank fragt Doris: »Willst du meine Frau werden?« Während sie ja sagt, wird das Unfallopfer schnell gesund, man hört Schafe blöken, die Sonne scheint immer noch und die beiden gehen gemeinsam die Steintreppen zum Auto hinunter. Arm in Arm, versteht sich. Dr.Frank holt dann die Eheringe aus dem Auto, von irgendwoher kommen Menschen, die Reis werfen, und die Verwandtschaft des genesenen Kranken bringt Präsentkörbe und eine Erstlingsausstattung für Säuglinge in neutraler Farbe, und ein Welpe schaut dem ganzen Szenario mit treuen braunen Augen zu.
Ich muss immer weinen, wenn es ums Heiraten geht. Warum fragt mich niemand, ob ich ihn heiraten möchte? Ich möchte auch ein weißes Kleid tragen und über eine Schwelle getragen werden, während meine Familie von Rührung gebeutelt in Tempotaschentücher schnäuzt. Nur einmal
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