Fremde
einen langen, intensiven Moment lang an, als habe sie ihn noch nie zuvor gesehen, als wolle sie sich jede Linie und jeden Zug an ihm merken.
Dann, langsam, lächelte sie.
»Mein Mann«, sagte sie ruhig.
Und schloß die Tür hinter sich.
Sexuell gesehen war Liraun immer eher passiv gewesen, aber in dieser Nacht war sie aggressiv, unerschöpflich und fordernd. Sie saugte Farber aus, verbrauchte ihn. Sie trieb ihn bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit und drängte ihn dann irgendwie darüber. Sie war entspannt und fröhlich, aber das ließ an ihrer inneren Festigkeit keinen Zweifel. Sie schien glücklich zu sein. Ihre Spiele und die kleinen Gespräche waren voller Aufregung und Fröhlichkeit. Aber darunter lag eine Traurigkeit, so tief und intensiv, daß man sie nur Verzweiflung nennen konnte. Mit ihr zusammen in der Dunkelheit, als er ihre leisen, rhythmischen Schreie vernahm, als ihre Beine ihm den Atem nahmen, als die Nackenmuskeln sich bei ihr wie Stahlseile verspannten und ihr Kopf heftig von einer auf die andere Seite zu peitschen begann – als ertrüge sie so große Schmerzen, daß sie Erleichterung darin suchte, indem sie sich das Hirn herausschlug –, fühlte sich Farber sonderbar allein und abgelöst, wie ein Zuschauer bei der bittersüßen Apotheose eines anderen. Es war ein unerklärlicher Sturm aus Freude und Verzweiflung, der sie antrieb, sie anfeuerte, der in diesem Augenblick mehr ihr Liebhaber war als er selbst.
Kurz vor der Dämmerung erschien eine Abordnung der Zwielicht-Wesen, Derer-die-Träume-beeinflussen-können zu der Zeremonie der Namengebung. Die Gesellschaft bestand aus einem Älteren, einem Twizan – Farber wußte nicht, ob es der gleiche Sänger war, der sie getraut hatte; wenn nicht, dann war er aber vom gleichen Typus –, fünf jungen cianischen Frauen in den verschiedensten Stadien der Schwangerschaft, eine so dick, daß ihre Zeit unmittelbar bevorstand, und eine Soúbrae oder Alte Frau. Die Alte Frau war in der Tat sehr alt, dem Aussehen nach noch älter als der Twizan. Sie vermittelte Farber den Eindruck, sie sei allein aus Willenskraft noch am Leben – wenn ihre Gedanken nur einen Moment abgelenkt wurden, so glaubte er, würde sie zu Staub und Asche zerbröseln. Sie war auch, wie sich Farber erinnerte, die einzige richtig alte cianische Frau, die er jemals gesehen hatte. Sie trug eine schneeweiße Robe, hatte Augen wie Eis, ein Gesicht so hart wie die wintergeforene Erde und war definitiv die leitende Person bei der Namengebung. Unter ihren schweigenden Anweisungen wurde Liraun besonders angekleidet und bemalt; man öffnete das Ostfenster, um die ersten Strahlen Feuerfraus in den Raum fallen zu lassen, und zündete ein sonderbar stinkendes Feuer im Kamin an. Die Zwielicht-Wesen und Liraun versammelten sich dicht um die Feuerstelle, und die Zeremonie begann. Sie schien endlos zu sein. Zwischen Liraun und den schwangeren Frauen, besonders mit jener, deren Geburt kurz bevorstand, wurden rituelle Gesten ausgetauscht, während die Alte Frau Gesänge anstimmte und der Sänger ein unheimliches Moll-Ton-Lied von sich gab, das so verzweifelt klang, daß es ein Geistergeheul hätte sein können.
Farber saß währenddessen in der anderen Ecke und hatte sich in Felle gewickelt. Er war erschöpft und schmutzig, und die Laute und der Geruch machten ihn reizbar. Jeder ignorierte ihn. Er saß also düster allein da, beobachtete die singenden, gestikulierenden Gestalten, fühlte sich in einem Mechanismus befangen, den er nicht begriff und der ihn auf einen Schluß zuwarf, den er weder vorhersagen, vorhersehen noch begreifen konnte.
Die Alte Frau reichte eine Reihe unidentifizierbarer – so zumindest für Farber – Objekte weiter, die ehrfürchtig berührt und behandelt wurden. Die ersten Strahlen der Dämmerung blitzten aus einem Krönchen winziger silberner Spiegel, das man auf Lirauns Kopf gesetzt hatte, und die Zeremonie war vorüber. Sie war nicht mehr Farbers Besitz. Von diesem Augenblick an war sie nach Recht und altem Brauch niemandes Eigentum mehr außer ihr eigenes und das ihrer Ahnen. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie sie selbst.
Ihr Name lautete nun Liraun Je Morrigan.
11
Liraun war nun eine Mutter von Shasine, und ihr Aufstieg von einer Leibeigenen zur höchsten Kaste dieser Gesellschaft veränderte ihr Leben drastisch. Sie hatte dieses Thema mit Farber diskutiert, als sie zuerst beschlossen hatten, Kinder zu haben, aber wie immer war vieles, was sie gesagt
Weitere Kostenlose Bücher