Fremde am Meer
Vielleicht ein wenig hochtrabend für den sandigen Flecken, wo ich Tomaten, Salat, Zwiebeln und Kräuter zog. Und wo mein Zitronenbaum wuchs, beeinträchtigt durch den ständigen Wind und doch großzügig seine unansehnlichen Früchte darbietend. Er musste sehr alt sein, älter als das Haus. Älter als ich vermutlich. Sein kurzer, knorriger Stamm war unten dick und wies Narben auf, wo Äste abgesägt worden waren. Neben ihm standen ein Grapefruitbaum und eine Feijoa, doch sie waren erst seit kurzem seine Gefährten. Anfangs hatte ich erwogen, Kartoffeln und Süßkartoffeln anzupflanzen, um dadurch noch autarker zu werden. Aber die Vorstellung, durch die Anforderungen eines richtigen Nutzgartens eingeschränkt zu sein, hatte mir nicht gefallen. So, wie er jetzt war, schadete es kaum, wenn ich mich wochenlang nicht um ihn kümmerte. Die Tomaten mussten natürlich gewässert werden, doch ihre Robustheit hatte mich überrascht, als ich sie einmal für mehrere Tage sich selbst überlassen musste.
Bis auf meinen Garten und meinen Kater hatte ich sehr wenig Gesellschaft. Hin und wieder traf ich Sophie, aber nicht mehr oft. Der Gedanke, der unserer geteilten Stelle als Chirurgin zugrunde lag, war immer der gewesen, dass diejenige von uns, die nicht im Dienst war, auch wirklich frei hatte. Sophie war viel jünger als ich und hatte drei kleine Kinder. Wir hatten uns die Stelle mehrere Jahre lang geteilt, und es hatte gut geklappt. Mir gefiel meine Arbeit, und der soziale Aspekt daran, der Kontakt mit meinen Patienten, war vielleicht ein Ersatz für die privaten Beziehungen, die ich nicht hatte. Doch dann war der Tag gekommen, an dem ich beschloss, mich zurückzuziehen, meiner Kreativität mehr Zeit zu widmen. Wir änderten unser Arrangement, und ich sprang jetzt nur noch gelegentlich als Vertretung ein. Das war immer seltener notwendig. So war mein Leben zwar einsamer, aber auch erfüllter. Ich hatte sehr wenig Umgang mit Menschen, genoss jedoch das Gefühl der Freiheit. Ich hatte mir mein Leben nach meinem Geschmack eingerichtet und genoss das Gefühl, es so bis ans Ende meiner Tage führen zu können. Aber es ist dann doch alles ein bisschen anders gekommen.
Mein nächster Nachbar war ein Farmer auf dem Hügel jenseits der Straße. George Brendel. Ich wusste nicht viel über ihn, doch mir war immer klar gewesen, dass er wie ich nicht von hier stammte. Er sprach mit einem leichten Akzent, der nur manchmal offenkundig wurde. Er besaß ein Grundstück von nicht unbeträchtlicher Größe, auf dem er aber außer einer Herde Schafe keine Tiere hielt. Genau wie George und ich stachen sie hervor – sie passten irgendwie nicht ganz in diese Umgebung. Erstens gehörten Schafe eigentlich nicht in diesen Teil des Landes. Und zweitens waren sie klein und hatten schwarze Beine. Solche Schafe hatte ich zuvor nur einmal gesehen – auf der Ostseeinsel Gotland. Es war mir ein Rätsel, woher Georges Herde kam. Sie graste unter seinen Olivenbäumen – eine weitere Eigentümlichkeit, denn niemand sonst baute in dieser Gegend Oliven an. Wie ihr Besitzer hatten die Schafe ihr Recht, hier zu leben, erst allmählich erworben, nicht als echte Einheimische, aber als tolerierte Außenseiter.
Georges Unzulänglichkeiten als Farmer schienen hauptsächlich einen Grund zu haben: Er war wohlhabend. Ich hatte keine Ahnung, worauf diese Meinung zurückzuführen war, doch sie war allgemein verbreitet: George Brendel war als Farmer unfähig, weil er Geld hatte. Er lebte schon wesentlich länger hier als ich und hatte sich im Laufe der Zeit Respekt erworben, zwar nicht als Landwirt, aber als Mensch. Er war in der Lokalpolitik aktiv und Mitglied des Gemeinderats.
Ich war zwar schon auf seiner Farm gewesen, doch nie in seinem Haus. Ich glaubte nicht, dass er eine Familie hatte, aber eigentlich wusste ich nicht viel über sein Privatleben. Er sagte mehrmals, er bewundere meine Kunst, und wenn er etwas kaufte, bezahlte er dafür mit Fleisch, Olivenöl oder Gefälligkeiten. Immer zu großzügig. Ich betrachtete es als Mildtätigkeit. Vielleicht war es aber auch etwas ganz anderes, das ich lieber nicht analysieren wollte. Als wir uns nach und nach ein wenig besser kennen gelernt hatten, blieb er manchmal nach einem Besuch bei mir auf der Türstufe stehen, als wollte er noch etwas sagen. Seltsamerweise störte mich das nicht, aber ich ermutigte ihn auch nicht dazu. Ich bat ihn nie ins Haus. Es hatte eine Zeit gegeben, in der ich nicht imstande gewesen wäre,
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