Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremde am Meer

Fremde am Meer

Titel: Fremde am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Olsson
Vom Netzwerk:
festen Gewohnheit entwickelt, ebenso wie die Suppe. Nach einer Zeit ohne feste Gewohnheiten war mir das wichtig geworden. Viel zu wichtig im Grunde.
    Im Winter kochte ich manchmal gelbe Erbsensuppe wie mein Großvater. Sie wurde nie genauso wie die, an die ich mich erinnerte, aber ich probierte es immer wieder. Trotz meiner Bemühungen, es ihm gleich zu tun, schmeckte sie irgendwie jedes Mal anders. Obwohl ich dieselben Zutaten nahm: eine gepökelte Schweinshaxe, Zwiebeln, ein, zwei Lorbeerblätter. Ein paar Pfefferkörner. Etwas Majoran, frisch, wenn ich welchen im Garten hatte, sonst getrocknet. Gelbe Erbsen, die ich über Nacht einweichte. Wenn ich sie ins kalte Wasser schüttete, um sie zusammen mit der Haxe zu garen, wurden sie weich und breiig; fügte ich sie später hinzu, wenn das Fleisch schon eine Weile gekocht hatte, blieben sie fester und durchscheinend. So mochte ich sie lieber. Aber wie gesagt, meinen Gast schien der Unterschied nicht zu kümmern. Ich benutzte immer den einzigen großen Topf, den ich hatte, und aß von den Resten noch tagelang. Doch kein Donnerstag war wie der andere, keine Suppe war wie die andere, und die Erbsensuppe war nie wie die meines Großvaters. An diesem Wintertag aber sollte es griechische Fischsuppe geben.
    Einmal, als es sehr heiß war, hatte ich Salat statt Suppe gemacht, doch der kam nicht so gut an, merkte ich, obwohl er nichts sagte. Dann also Suppe. Anscheinend schmeckten sie ihm alle. Manche waren Experimente, nicht immer gelungen, aber er beklagte sich nie. Und machte mir auch nie Komplimente. Vielleicht war er einfach zu hungrig, um urteilsfähig zu sein.
    Eigentlich hieß er wohl Mika, doch seit jenem ersten Tag, an dem ich ihn missverstanden hatte, nannte ich ihn Ika, und es schien ihn nicht zu stören. Er erklärte mir, das bedeute »Fisch«, und ich fand, der Name passte zu ihm. Schon bevor ich seine Hände sah.
    Ich war erschrocken, als er mich zum ersten Mal »Mama« rief. Das wurde dann sein ganz eigener Name für mich. Es war nicht so, dass ich für ihn eine Art Mutter war, glaube ich. Nein, er sagte mir, es bedeute »leicht«. Ich war mir nicht sicher, ob er das als Gegenteil von »schwierig« meinte oder von »schwergewichtig«. Ich vermutete Letzteres, doch manchmal stellte ich mir gern vor, er meinte Ersteres. Wie auch immer, es gefiel mir.
    »Warum bist du hergekommen, Mama?«, fragte er, instinktiv davon ausgehend, dass ich gekommen war. Von woanders.
    »Na ja«, sagte ich, »das ist eine lange Geschichte.« Er schaute mich an, vielmehr schaute er wie üblich auf einen Punkt dicht hinter mir. Es schien ein veränderlicher Punkt zu sein, aber immer einer ganz in meiner Nähe. Ika sah nicht aus, als erwarte er eine ausführliche Antwort, doch sein Blick verweilte auf dem unspezifischen Punkt.
    »Zum ersten Mal war ich vor vielen Jahren hier. Im Urlaub. Und dann ist mir etwas passiert.« Ich zögerte.
    »Was Schönes oder was Trauriges?«, fragte er.
    »Was Trauriges«, entgegnete ich. »Etwas sehr Trauriges.« Ich schaute ihn an und fügte hinzu: »Zuerst war es schön. So schön, wie etwas nur sein kann.«
    »Es musste erst schön sein«, sagte er, und es klang wie eine persönliche Überlegung, nicht wie der Teil eines Gesprächs.
    Ich sah ihn an, konnte seinen Blick jedoch wieder nicht auffangen.
    »Wahrscheinlich hast du Recht. Vielleicht kann nichts an sich nur traurig sein.«
    »Also bist du wieder weggefahren«, sagte er. Es war eine Feststellung, keine Frage, aber ich nickte trotzdem. »Und dann bist du zurückgekommen.«
    »Genau. Beim ersten Mal habe ich hier Ferien gemacht. Dann bin ich nach Hause zurückgekehrt, weit weg von hier. Aber ich konnte nicht aufhören, an dieses Land zu denken. Tagsüber dachte ich daran, und nachts träumte ich davon. Es waren traurige Träume. Aber auch wunderschöne. Und sie wurden mir immer wichtiger. Eines Tages hatte ich das Gefühl, ich müsste zurückkommen und hier leben.«
    »Bleibst du jetzt für immer hier?« Er betastete die Tischkante, strich mit den Händen über die Holzplatte. Seine Nägel waren schmutzig und seine Knöchel voller Prellungen. Er hielt seine Finger eng beieinander. Es sah aus, als wollte er die Fläche glätten. Ich wusste inzwischen, dass ihm Krümel unangenehm waren, daher hatte ich mir angewöhnt, den Tisch stets gründlich zu putzen.
    Ich stand auf, räumte unsere Teller ab und trat an die Küchentheke. Ich schaute aus dem Fenster. Es war ein sonniger Tag mit leichtem Wind, und

Weitere Kostenlose Bücher