Fremde am Meer
unter meinen Füßen und eines blendend hellen Lichts in meinen Augen hier an diesem Strand in nichts aufgelöst, als wären die entsprechenden Szenen aus dem Film herausgeschnitten und entsorgt worden.
Ich entsann mich jedoch, wie ich eines Morgens aufgewacht war und gemerkt hatte, dass ich keine Lust mehr hatte zu leben. Vielleicht wollte ich auch einfach nicht das Leben fortsetzen, das ich führte.
Ich schaute den Mann an, mit dem ich seit acht Jahren zusammenwohnte, und stellte fest, dass ich ihn überhaupt nicht kannte und auch nicht kennen wollte. Mir war jeder Zug seines Gesichts vertraut, das da reglos mit geschlossenen Augen auf dem Kissen neben mir ruhte. Der Anblick löste keinerlei Gefühl von Liebe bei mir aus. Wenn ich etwas spürte, dann eine gedämpfte Traurigkeit. Und eine Art vages Mitleid. Mit ihm und vielleicht auch mit mir. Mit unserem Leben. Er sah so unschuldig und verwundbar aus hier neben mir im Schlafzimmer unseres Hauses, das wir mit solcher Vorfreude gekauft, mit solcher Energie renoviert hatten.
Ich lauschte auf die Geräusche der Umgebung. Das Summen des zunehmenden Verkehrs auf der Straße vor unserem Fenster. Die in der Diele landende Morgenzeitung. Das Zuklappen einer Autotür. Die vertrauten Geräusche einer Stadt, die erwacht. Doch plötzlich merkte ich, dass sie keine heimelige Klangkulisse für mein tägliches Leben mehr waren, sondern einzeln identifizierbare Töne, die gar nichts Anheimelndes hatten, eher im Gegenteil. Ebenso wie der Mann an meiner Seite schienen die Zeichen von Leben draußen nichts mehr mit mir zu tun zu haben. Ich konnte auf einmal alles mit großer Klarheit sehen und hören.
Später, als wir in der Küche saßen, beide mit einem Teil der Zeitung vor uns, schaute ich sein Gesicht über den Tisch hinweg erneut an. Er war gealtert. In seinen Augenwinkeln zeigten sich dünne Runzeln, und die Falte auf seiner Stirn war tiefer, als ich sie in Erinnerung hatte. Sein Haar wurde schütter. Es war ein attraktives Gesicht, nur seltsam fremd. Ich sah es weiter an, suchte nach einer emotionalen Regung. Bei ihm. Und bei mir. Er musste meinen Blick gespürt haben, denn er schaute auf und zeigte ein kurzes, überraschtes Lächeln. Ich erkannte sofort, dass mein Interesse ungewohnt für ihn war, und das machte mich traurig.
Ein paar Tage danach suchte ich meinen Anwalt auf. Dann ging ich in ein Reisebüro und buchte meinen Flug. Nicht am selben Tag, aber wenig später, als logische Konsequenz. Im Rückblick scheint das alles sehr schnell erfolgt zu sein, als wäre es sorgfältig geplant worden. Vielleicht kam es mir nur so vor, weil es so lange her war, dass ich im Geiste versuchte, diesen Zeitraum zu einem winzigen Schnipsel zu verdichten. Zum Konzentrat eines wesentlichen Teils meines Lebens. Tausende von Morgen, Tagen und Nächten, reduziert auf wenige Augenblicke.
Ich war acht Jahre mit diesem Mann verheiratet gewesen und hatte ihn davor schon drei Jahre gekannt. Elf Jahre meines Lebens. Unsere Trennung war, wie man so sagt, eine gütliche. Ich finde den Ausdruck merkwürdig. Sicher, es gab keine Animositäten. Wenig Gefühl irgendeiner Art, genau genommen. Aber gütlich? Ich glaube, er verspürte dasselbe wie ich – vage Traurigkeit über ein Scheitern. Wir waren in der Lage, unsere Angelegenheiten ohne Streit zu regeln. Vielleicht ist es das, was eine gütliche Trennung ausmacht. Sie war nicht durch das Vorhandensein von Zuneigung gekennzeichnet, sondern durch das Fehlen von Feindseligkeit. Er entfernte sich einfach aus meinem Leben, ohne etwas zu hinterlassen. Wir bewegten uns beide in verschiedene Richtungen, und unser gemeinsames Leben löste sich hinter uns in nichts auf. Keiner verließ den anderen; zwei Menschen trennten sich nur und schlugen unterschiedliche Wege ein. Nach gelegentlichen Treffen, die zur Klärung praktischer Dinge nötig waren, erlosch der Kontakt zwischen uns. Und doch hatte es eine Zeit gegeben, in der ich ihn geliebt hatte. Es musste sie gegeben haben. Ich dachte an ihn, als ich meine Füße in den weichen Sand grub, und versuchte, mich an meine Gefühle zu erinnern. Aber alles, was dabei herauskam, waren Rationalisierungen: gutes Aussehen, Freundlichkeit, Humor, Loyalität. Ich entsann mich der Jahre, in denen wir uns so sehr bemüht hatten, eine Familie zu gründen. An unsere Traurigkeit über die unweigerliche allmonatliche Enttäuschung.
Aber Liebe?
Nein, an Liebe erinnerte ich mich nicht.
Nicht jetzt, da ich wusste, was Liebe
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