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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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mehr. Wie heißt dein Bekannter noch gleich, was hast du gesagt?«
    »Ich habe gar nichts gesagt. Er heißt Johnas.«
    Seine Stimme klang ungewohnt entschieden. Die Tür fiel ins Schloß, und als die Großmutter aus dem Fenster schaute, sah sie, daß er sich über sein Motorrad beugte und mit wütenden Bewegungen daran herumschraubte.
    Die Kamera im Erdgeschoß war nicht gerade günstig angebracht. Das ging ihm in diesem Moment auf; er blickte auf den Bildschirm zu seiner Linken. Die Linse hatte zuviel Gegenlicht, und das reduzierte die Kunden zu vagen Umrissen, fast wie zu Gespenstern. Er sah sich die Kunden gern an, ehe er ihnen entgegenging. Im ersten Stock, wo die Lichtverhältnisse besser waren, konnte er Gesichter und Kleider erkennen, und bei Stammkunden konnte er sich vorbereiten, ehe er sein Büro verließ. Konnte die jeweils passende Haltung annehmen. Wieder blickte er auf den Bildschirm, der das Geschehen im Erdgeschoß wiedergab. Eine einsame Gestalt stand dort. Vermutlich ein Mann, vielleicht auch ein Jugendlicher, in kurzer Jacke. Es würde wohl kein gutes Geschäft werden, aber er mußte sich diesem Kunden doch widmen, korrekt, dienstbeflissen, um den guten Ruf der Galerie aufrechtzuerhalten, der inzwischen nahezu tadellos war. Außerdem sah man es den Leuten nicht an, ob sie Geld hatten. Nicht mehr. Dieser Bursche konnte durchaus steinreich sein. Langsam ging Johnas die Treppe hinunter. Seine Schritte waren kaum zu hören, er hatte einen leichten, fast schleichenden Gang, und er tanzte nicht gern durch die Gegend, so als arbeite er in einem Spielzeugladen. Es war eine Galerie, in der man mit gedämpfter Stimme sprach. Es gab keine Preisschilder oder Registrierkassen. In der Regel schickte er eine Rechnung, manche Kunden bezahlten auch mit Karte. Er war jetzt fast unten, zwei Stufen lagen noch vor ihm, als er plötzlich innehielt.
    »Guten Tag«, murmelte er.
    Der Junge hatte ihm den Rücken zugekehrt, drehte sich jetzt aber um und starrte ihn neugierig an. In seinem Blick lagen Mißtrauen und leise Verwunderung. Er sagte nichts, er starrte nur, als wolle er in den Zügen seines Gegenübers eine Geschichte lesen. Ein Geheimnis vielleicht oder die Auflösung eines Rätsels. Johnas kannte ihn. Ein oder zwei Sekunden überlegte er, ob er das zugeben sollte.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
    Halvor gab keine Antwort. Noch immer starrte er Johnas mit nachdenklicher Miene ins Gesicht. Er wußte, daß er ihn erkannt hatte. Johnas hatte ihn oft gesehen, er war mit Annie bei ihm gewesen, sie waren sich auf der Straße begegnet. Jetzt hatte er eine Rüstung angelegt. Alles Weiche und Dunkle an diesem Mann, Flanell, Samt und dunkle Locken, alles war zu einer harten Schale erstarrt.
    »Zweifellos«, sagte Halvor und ging einige Schritte auf Johnas zu, der noch immer unten auf der Treppe stand, eine Hand auf dem Geländer.
    »Du verkaufst Teppiche.« Er sah sich um.
    »Stimmt - ja.«
    »Ich will einen Teppich kaufen.«
    »Ach.« Johnas lächelte. »Davon gehe ich aus. Was soll es denn sein? Etwas Besonderes?«
    Der will doch keinen Teppich, dachte er. Und Geld hat er auch nicht, dem geht es um etwas anderes. Vielleicht ist er aus reiner Neugier hier, irgendeine verrückte Idee. Er hat bestimmt keine Ahnung, was Teppiche kosten. Aber das wird sich bald ändern, das garantiere ich.
    »Groß oder klein?« fragte er und verließ endlich die Treppe. Der Junge war mehr als einen Kopf kleiner als er und dünn wie Reisig.
    »Ich möchte einen Teppich, der so groß ist, daß kein Stuhlbein daneben steht. Ich finde Putzen zu anstrengend.«
    Johnas nickte. »Dann komm mit nach oben. Da sind die großen.«
    Er ging die Treppe hoch, gefolgt von Halvor. Halvor kamen keine Zweifel, er wurde von ungeahnten Kräften getrieben, schien auf einer Schiene in den finsteren Berg zu gleiten.
    Johnas schaltete die sechs Kronleuchter ein, die er aus einer Glasbläserwerkstatt in Venedig erhalten hatte. Sie hingen unter den geteerten Dachbalken und tauchten den großen Raum in warmes, aber kräftiges Licht.
    »Welche Farbe soll es denn sein?«
    Halvor blieb oben auf der Treppe stehen und sah sich um. »Die sind doch alle rot«, sagte er leise.
    Johnas lächelte herablassend. »Ich will ja nicht arrogant sein«, sagte er freundlich. »Aber weißt du überhaupt, wieviel so ein Teppich kostet?«
    Halvor kniff die Augen zusammen. In seinen Gedanken tauchte etwas Altes auf, das er schon lange nicht mehr empfunden hatte. »Ich sehe wohl nicht

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