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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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wurde energisch an die Tür geklopft. Halvor fuhr zusammen, schob die Fotos unter die Tischdecke und machte auf. Sie waren zu zweit. Sie blieben im Windfang stehen und sahen ihn an. Er konnte leicht erraten, was sie dachten.
    »Sie sind Halvor Muntz?«
    »Ja.«
    »Wir möchten Ihnen einige Fragen stellen. Sie können sich sicher denken, weshalb?«
    »Ihr Vater hat heute nacht angerufen.«
    Halvor nickte mehrere Male. Sejer entdeckte die alte Frau in ihrem Sessel und grüßte.
    »Ist das eine Verwandte?«
    »Ja.«
    »Können wir uns irgendwo unter vier Augen unterhalten?«
    »Nur in meinem Zimmer.«
    »Ja? Na, wenn es Ihnen recht ist, dann ...«
    Halvor führte sie aus dem Wohnzimmer, durch eine enge kleine Küche und in seine Kammer. Das Haus muß ziemlich alt sein, dachte Sejer, heute werden die Räume nicht mehr so angeordnet. Die Männer setzten sich auf ein wackliges Schlafsofa. Halvor nahm auf dem Bett Platz. Es war ein altmodisches Zimmer mit grün angestrichener Täfelung und breiter Fensterbank.
    »Ist das Ihre Großmutter? Die alte Dame im Wohnzimmer?«
    »Ja.«
    »Und Ihre Eltern?«
    »Geschieden.«
    »Deshalb wohnen Sie hier?«
    »Ich konnte selber entscheiden, wo ich wohnen wollte.«
    Seine Worte fielen trocken und klirrend wie Kieselsteine.
    Sejer sah sich um, suchte nach Bildern von Annie und entdeckte ein kleines goldgerahmtes auf dem Nachttisch. Daneben standen ein Wecker und eine Figur der Madonna mit dem Kind, vielleicht ein Reiseandenken aus einem südlichen Land. Ein einziges Plakat hing an der Wand, vermutlich zeigte es einen Rocksänger, quer über dem Bild stand »Meat Loaf«. Stereoanlage und CDs. Ein Kleiderschrank, ein paar Turnschuhe, nicht so edle wie die von Annie. Am Türknauf des Kleiderschranks hing ein Motorradhelm. Das Bett war nicht gemacht. Dem Fenster gegenüber stand ein schmaler Schreibtisch, auf dem ein handlicher Computer mit kleinem Schirm thronte. In einem Karton daneben wurden die Disketten aufbewahrt. Sejer konnte lesen, was auf der obersten stand: »Chess for beginners«. Durch das Fenster blickte er in den Hinterhof, er sah den vor dem Schuppen abgestellten Volvo, eine leere Hundehütte und ein mit einer Plastikplane bedecktes Motorrad.
    »Sie fahren Motorrad?« fragte er als Einleitung.
    »Wenn das Motorrad will. Es springt nicht immer an. Ich muß es reparieren lassen, aber im Moment kann ich mir das nicht leisten.«
    Er machte sich an seinem Hemdkragen zu schaffen.
    »Haben Sie Arbeit?«
    »In der Eiscremefabrik. Seit zwei Jahren.«
    Eiscremefabrik, dachte Sejer. Seit zwei Jahren. Er hat also nach der Grundschule gleich angefangen zu arbeiten. Vielleicht gar nicht so dumm, da bekommt er immerhin Berufserfahrung. Besonders sportlich schien der Junge nicht zu sein, ein wenig zu schmächtig, ein wenig zu blaß. Annie dagegen war fast schon athletisch gewesen, sie hatte eifrig trainiert und für die Schule gebüffelt, während dieser Knabe Eiscreme verpackte und bei seiner Großmutter wohnte. Irgendwie paßte das nicht zusammen, fand Sejer. Aber das war im Grunde eine arrogante Überlegung, deshalb verdrängte er sie gleich wieder.
    »Ich habe einige Fragen an Sie. Das verstehen Sie doch sicher?«
    »Ja.«
    »Dann möchte ich so anfangen: Wann haben Sie Annie zuletzt gesehen?«
    »Am Freitag. Wir waren im Kino, um sieben Uhr.«
    »In welchem Film?«
    »Philadelphia. Annie hat geweint«, sagte Halvor nachdenklich.
    »Warum denn?«
    »Weil der Film so traurig war.«
    »Ach so. Und dann?«
    »Dann haben wir im Kinocafe etwas gegessen und sind mit dem Bus zu ihr nach Hause gefahren. Haben auf ihrem Zimmer Platten gehört. Um elf habe ich den Bus zurück genommen. Sie hat mich zur Haltestelle bei der Meierei gebracht.«
    »Und seither haben Sie sich nicht mehr gesehen?«
    Halvor schüttelte den Kopf. Sein starrer Mundwinkel ließ ihn ein wenig mürrisch aussehen. Das ist eigentlich ungerecht, dachte Sejer, er ist ja eigentlich ganz hübsch mit seinen grünen Augen und den regelmäßigen Zügen. Aber dieser Mund sieht so aus, als wollte er schlechte Zähne oder so etwas verstecken. Später stellte sich heraus, daß Halvors Zähne mehr als perfekt waren. Vier oben und zwei unten waren aus Porzellan.
    »Und Sie haben auch nicht mit ihr telefoniert oder so?«
    »Doch«, sagte Halvor rasch. »Sie hat am nächsten Abend angerufen.«
    »Was wollte sie?«
    »Nichts.«
    »Aber sie war doch ziemlich still, stimmt das?«
    »Ja, aber sie hat gern telefoniert.«
    »Sie wollte also nichts,

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