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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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du ihm?«
    Sejer biß sich auf die Lippe. »Gerade deshalb. Ich glaube, er ist nicht gerissen genug, um sich so eine Geschichte auszudenken. Ich glaube wirklich, daß jemand da war und mit ihm gesprochen hat.«
    »Also derselbe, der um Halvors Haus herumgeschlichen ist? Und der die Schultasche im Schuppen versteckt hat?«
    »Zum Beispiel. Ja.«
    »Diese Gutgläubigkeit sieht dir aber gar nicht ähnlich, Konrad. Hast du dich von einem Trottel und einem Milchbubi derart einwickeln lassen?«
    Sejer fühlte sich ausgesprochen unwohl in seiner Haut. Dieser Tadel gefiel ihm nicht, und vielleicht ließ er ja wirklich die Tatsachen von Gefühl und Glauben überschatten. Halvor hatte Annie am nächsten gestanden. Er war ihr Freund gewesen.
    »Konnte Halvor irgendwelche Einzelheiten erzählen?« fragte Holthemann jetzt. Er erhob sich und setzte sich auf den Schreibtisch, wodurch er auf Sejer hinunterblicken konnte.
    »Er hat gehört, wie ein Auto anfuhr. Möglicherweise ein altes, vielleicht mit einem kaputten Zylinder. Und zwar unten auf der Hauptstraße.«
    »Da ist ein Wendeplatz. Da halten viele an.«
    »Das weiß ich auch. Ich möchte ihn laufenlassen. Der haut schon nicht ab.«
    »Nachdem du uns erklärt hast, daß er vielleicht ohnehin ein Mörder ist. Einer, der unter Umständen kaltblütig seinen eigenen Vater umgebracht hat. Ich finde, du gehst zu weit, Konrad.«
    »Aber er hat Annie geliebt, wirklich, auf seine eigene seltsame Weise. Obwohl sie ihn fast nicht an sich herangelassen hat.«
    »Da ist er sicher ungeduldig geworden und hat die Beherrschung verloren. Und wenn er seinem Vater den Kopf weggeschossen hat, dann steckt in dem jungen Mann doch allerhand Sprengstoff.«
    »Wenn er seinen Vater wirklich umgebracht hat, was wir nun einmal nicht wissen, dann hatte er keine Wahl. Nach Jahren der Mißhandlung und der Verwahrlosung schien die Familie zugrunde zu gehen. Und der Vater hatte ihm die Wange zerschnitten. Ich glaube, er wäre freigesprochen worden.«
    »Sehr gut möglich. Aber Tatsache ist, daß er möglicherweise zu einem Mord fähig ist. Das sind nicht alle. Was meinst du, Skarre?«
    »Ich stelle mir einen älteren Täter vor«.
    »Warum das?«
    »Annie war ungeheuer fit. Sie wog fünfundsechzig Kilo, und dieses Gewicht bestand vor allem aus Muskeln. Halvor wiegt nur dreiundsechzig, sie waren also fast ebenbürtig. Wenn wirklich Halvor sie ins Wasser gestoßen hätte, dann hätte Annie sich so sehr dagegen gewehrt, daß sie äußere Verletzungen davongetragen hätte, Kratzer oder Schrammen. Aber alles weist darauf hin, daß der Täter ihr einwandfrei überlegen war, vermutlich war er viel schwerer als sie. Nach allem, was ich gesehen habe, glaube ich, daß Annie Halvor physisch überlegen war. Ich meine nicht, daß er es nicht geschafft hätte, aber zweifellos hätte es ihn sehr viel Mühe gekostet.«
    Sejer nickte stumm.
    »Na gut. Das klingt immerhin plausibel. Aber dann stehen wir eigentlich am Nullpunkt. Wir haben in Annies Nähe doch keine anderen Personen mit einem möglichen Motiv gefunden?«
    »Auch Halvor hat kein greifbares Motiv.«
    »Er hatte den Rucksack, und außerdem war er ihr gefühlsmäßig am nächsten. Ich muß hier die Verantwortung übernehmen, und ich fühle mich nicht besonders wohl dabei, Konrad. Was ist mit Axel Bj0rk? Verbittert und versoffen, mit gefährlichem Temperament? Findet ihr bei dem nichts?«
    »Wir haben keinen Grund zu der Annahme, daß Bj0rk am fraglichen Tag in Lundeby war.«
    »Na gut. Und wie ich gelesen habe, interessiert ihr euch ohnehin mehr für einen zweijährigen Knirps?« Er lächelte, wenn auch nicht direkt herablassend.
    »Nicht für den Jungen. Sondern für Annies Reaktion auf seinen Tod. Wir haben versucht, einen Grund für ihre Persönlichkeitsveränderung zu finden, und vielleicht hat die etwas mit dem Jungen zu tun. Oder damit natürlich, daß sie krank war. Ich hatte eigentlich gehofft, etwas anderes zu finden.«
    »Was denn zum Beispiel?«
    »Weiß nicht so recht. Das ist ja gerade das Schwierige in diesem Fall, daß wir keine Ahnung haben, nach was für einer Sorte Mann wir suchen.«
    »Nach einem Henker vielleicht. Er hat ihren Kopf unter Wasser gedrückt, bis sie tot war«, sagte Holthemann brutal. »Ansonsten hat sie nicht einmal einen Kratzer abbekommen.«
    »Deshalb glaube ich, daß sie nebeneinander am Ufer gesessen und miteinander geredet haben. Ganz im Vertrauen. Vielleicht hatte er auf irgendeine Weise Macht über sie. Plötzlich legt er

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