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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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herkam, wußte niemand so genau; ab und zu hatte er diffuse Anspielungen auf London gemacht, aber Melrose Plant behauptete steif und fest, man habe ihn in einer chinesischen Urne gefunden.)
    Nachdem man das Thema »Arbeit« schnell wieder fallengelassen hatte (niemand von ihnen war, wie Plant sich ausdrückte, Experte auf diesem Gebiet), bot sich als nächster Gegenstand der Spekulation der Besuch Richard Jurys an. Wo steckte er, und wann würde er nach Long Piddleton kommen?
    Wie üblich wurde Melrose Plant, der Richard Jury seit mehr als einem Dutzend Jahre kannte, nach dessen Verbleib ausgeforscht. Melrose hatte keinen blassen Schimmer, wo Jury war, nur das vage Versprechen, er käme »in ein paar Tagen«. Selbige Zusage war vor ein paar Tagen erfolgt, also konnte Jury nun jederzeit eintrudeln.
    Melrose Plant sagte indes: »Er hat den Zug um neun Uhr zehn von Paddington genommen.« Er betrachtete einen Stapel Bücher neben seinem Pint Old Peculier. »Und am frühen Nachmittag müßte er in Glasgow eintreffen.«
    Einhellige Überraschung. »Glasgow? Was in Gottes Namen macht er denn in Glasgow?« fragte Trueblood.
    »Dreifacher Mord.« Neun Uhr zehn ab Paddington war der Titel von Polly Praeds neuestem Thriller und schamlos bei Agatha Christie geklaut. »In einer prominenten Familie in Glasgow.«
    »Wirklich?«
    Nein, dachte Melrose, natürlich nicht, aber jetzt würden sie ihn nicht stündlich wegen der neuesten Nachrichten über Jurys Kommen und Gehen nerven.
    Stirnrunzelnd zündete sich Joanna Lewes eine Zigarette an. »Ich dachte, er ist mit dem Ding in der Tate beschäftigt.«
    Genau in diesem Moment hatte Diane Demorney, die das Rampenlicht um sich verblassen sah, mit der Bemerkung über das »Stendhal-Syndrom« die Aufmerksamkeit erneut auf sich gezogen.
    Das einzige, was Diane Demorney vor der Rolle der pathologischen Lügnerin bewahrte (darin hätte sie geschwelgt), war, daß sie gar nicht lügen mußte. Ihre Spezialität bestand darin, so viel obskures Insiderwissen aufzufahren, daß sie den Eindruck machte, sie wisse wirklich etwas. Was nicht der Fall war.
    Gemeinhin weigerte sich Melrose Plant, Dianes Köder zu schnappen, aber diesmal konnte er nicht anders. Er sah sie von der Seite an. »Das was?«
    »Das Stendhal-Syndrom.« Sie ließ den Blick um den Tisch schweifen und abwechselnd auf einem von den dreien ruhen, spielte mit ihrem Martini (Mischungsverhältnis: zehn zu eins) und sagte: »Na, ich nehme doch an, Sie haben alle schon einmal von Stendhal gehört? Rot und Schwarz, Der Kapaun von Parma?«
    Joanna rollte die Augen gen Himmel; Melrose verschluckte sich an seinem Old Peculier. Trueblood sagte: »Also, was ist das für ein Syndrom? Sie verzehren sich doch danach, es uns zu erzählen.«
    Diane trank ein Schlückchen Martini und ließ sie schmoren. »Also, Stendhal war Kunstliebhaber mit Leib und Seele. Stundenlang stand er herum und betrachtete etwas. Aber es hatte eine merkwürdige Wirkung auf ihn. Er wurde immer ohnmächtig. Besonders in Florenz. Sie wissen ja nun, was es da für Kunstwerke gibt.« Das war an Joanna gerichtet. »Es war zu viel für den armen Mann.«
    »Nein, ich bin noch nie in Florenz gewesen«, sagte Joanna.
    »Aber eines Ihrer Bücher spielt dort«, sagte Diane. Der Rauch ihrer Zigarette wehte in zarten Kringeln nach oben.
    »Na und? Sie glauben doch nicht allen Ernstes, ich hätte
    Zeit, diese Städte zu besuchen? Wollen Sie uns weismachen, Stendhal sei jedesmal, wenn er Gemälde ansah, zusammengebrochen?«
    Diane freute sich diebisch, daß sie sie wieder mal alle miteinander übertrumpft hatte. »Wenn er zu lange hinschaute.«
    »Ich finde, in Florenz ohnmächtig zu werden und in der Tate abzukratzen, hat nicht viel miteinander gemein«, sagte Melrose und versuchte, es sich auf dem Platz am Fenster bequem zu machen.
    »Das kommt davon, wenn man Kunst betrachtet, ob in Italien, London oder sonstwo. Stendhal war so ein wunderbarer Schriftsteller, finden Sie nicht -?«
    Als ob sie ihn je gelesen hätte, dachte Melrose.
    »- ich werde fast gelb vor Neid, weil ich nicht so schreiben kann. Geht es Ihnen nicht auch so, Joanna?«
    Joanna strafte die spitze Bemerkung mit Nichtachtung und sagte: »Jeder Idiot kann ein Buch schreiben. Nicht wie Stendhal natürlich, aber ein Buch. Ich muß es ja wissen.«
    »Wohl wahr«, pflichtete Diane ihr honigsüß bei.
    »Sie verkaufen sich immer unter Wert«, sagte Melrose. »Aber sehr ermutigend, was Sie sagen.« Er rückte unbehaglich hin und

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