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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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tiefer als die ihrer Freundin. Als Ellen ihrem Urteil weder widersprach noch es bestätigte, fuhr sie fort: »Ich habe Fenster gelesen.« Eine klitzekleine Pause entstand, als warte sie darauf, daß man ihr zu ihren Mühen gratulierte. Wieder reagierte Ellen nicht, und die Dame kämpfte sich redlich weiter. »Unglaublich, soviel erzählerische Kraft in einem Text, in dem ein so reduktiver Gebrauch vom Symbolismus gemacht und die Sprache bis auf die Knochen entblößt wird.«
    Ellen zündete sich eine Zigarette an.
    Jetzt übernahm wieder die mit dem Schal und ließ sich weiter über ihre Ängste und Unsicherheiten aus. »Sich zu motivieren, jeden Morgen aufzustehen und sich vor die leere Seite zu setzen .«
    »Sie könnten ja auch ausschlafen.«
    Den Einwand verwarf das Mädchen mit einem kurzen Lachen. »Es ist die Fähigkeit, dabei zu bleiben, an einem Text dranzubleiben, der vielleicht nie zu jemand anderem sprechen wird -« Sie hielt inne und rätselte herum, welche Opfer vielleicht noch vonnöten waren. »Jahrelang zu arbeiten und am Ende doch nur kommerzielle Literatur geschrieben zu haben. Ich weiß nicht, wie der Lohn beschaffen sein müßte, damit ich bei der Stange bliebe.«
    »Geld.« Ellen erwog, die Kruste von Melroses KirschBlätterteig zu verzehren. Sie ließ sie wieder auf den Teller fallen.
    Erneut stieß Vlasic ein höhnisches Lachen aus. »Kennen Sie den Prozentsatz der Schriftsteller, die von dem, was sie verdienen, leben können?« Als keiner antwortete, verriet er es ihnen. »Weniger als zwei Prozent.«
    Woraufhin Melrose erwog, seine Schriftstellerkarriere zu beenden.
    Wieder draußen, sagte Melrose: »Wie konnten Sie sich diesen Quatsch anhören?« Sie gingen gegen den Strom der Studenten, die aus den Seminarräumen in die aromatischeren, dem leiblichen Wohl dienenden Gefilde der Cafeteria entfleuchten.
    »Vlasics Studenten reden alle so. Sie können nicht anders. Es sind alles Mini-Vlasics.«
    Schweigend liefen sie eine Weile weiter. Plötzlich blieb Ellen stehen und sagte: »Wissen Sie, was Maxim Sweetie gerade erzählt hat?«
    »Was? Nein, weiß ich nicht. Als ich Maxim das letzte Mal gesehen habe, wälzte er sich in einer Blutlache. Wie kann er also Sweetie gerade etwas erzählt haben?«
    »Maxim hat zu Sweetie gesagt, wenn man eine Papierpuppe ausschneidet, wozu gehört dann der leere Raum, der Umriß? Und existiert die Puppe auch ohne ihren Umriß?«
    »Das ist metaphysischer Sch-«
    Ellen nickte und unterbrach ihn. »Sophisterei. Genau das hat Sweetie auch gerade gesagt.«
    »Metaphysischer Scheiß ist es, und sonst nichts. Und würden Sie aufhören, über Maxim und Sweetie zu reden, als säßen sie da hinten in der Cafeteria und tränken Kaffee?«
    »Ach, jetzt seien Sie mal nicht so einfältig.«
    Ellen zog eine Schnute, als habe er gerade ihre besten Freunde beleidigt. Gut möglich, dachte er, daß sie das auch waren. Er hielt den Mund. Was nicht einfach war.
    »Ich denke über literarischen Diebstahl nach.«
    »Über die fürchterliche Wick-VapoRub?«
    »Damit fing es an. Dann, nachdem Maxim das gesagt hatte -«
    Melrose seufzte tief auf, hoffte, daß das nicht unbemerkt blieb, aber Ellen ignorierte es.
    »- habe ich angefangen, über dieses Poe-Manuskript nachzudenken. Ein Mensch kann den Stil eines anderen nicht kopieren, das wäre, als versuchte man, die echten Farben eines Regenbogens zu malen. Die Atmosphäre und die Luft, die nötig sind, einen Regenbogen zu produzieren, sind von viel zu vielen Variablen bestimmt. Genauso ist es mit dem Stil. Das Ganze würde etwas merkwürdig Stockendes kriegen. Beverly Brown würde auf jeder Seite ihre geistigen Fingerabdrücke hinterlassen.«
    Melrose dachte darüber nach. »Da ist was dran. Also müßte man Miss Browns Gedanken kennen und darauf streuen, damit die Abdrücke sichtbar würden, um im Bild zu bleiben.«
    »Vielleicht sind sie weniger schwer aufzuspüren, als das zu ergründen, was sie sich bei all dem gedacht hat. Vielleicht sind die Fingerabdrücke in den Einzelheiten der Ge-schichte. Einzelheiten, die nur Beverly hineingebracht haben könnte, Poe aber nicht.« Ellen beförderte ihre Tasche von einer Schulter zur anderen. »Zum Beispiel: Vorhin hat Sweetie eine weiße Pralinenschachtel aufgemacht, aber erst, als wir uns den Kaffee geholt haben, habe ich gemerkt, daß seit Tagen ein Haufen weißer Schachteln mit Pralinen neben der Kassiererin auf der Theke steht. Unbewußt habe ich es registriert, und als ich jetzt durch mein

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