Fremde Federn
nicht versuche, Ihnen die Begrifflichkeit zu erläutern.« Vlasic musterte Jury von oben bis unten, als überlege er, ob er ihm ein Almosen geben sollte. »Ich weigere mich, weigere mich erst einmal acht Wochen lang, sie ein Wort zu Papier bringen zu lassen. Nicht ein Wort. Das habe ich mir in meiner Lehre zur eisernen Regel gemacht.«
»Vielleicht schreiben sie heimlich.«
Diese Unterstellung wehrte Vlasic mit einer Handbewegung ab. »Ellen Taylor dagegen glaubt an nichts anderes als an Stift und Papier. Ellen lehrt nicht; Ellen läßt sie vom ersten Tage an schreiben. Ellen hat -«
»- es durchaus schon zu etwas gebracht.«
»Ich bin mir nicht sicher, was Sie über Semiotik wissen, Superintendent -«
»Herzlich wenig.« Jury nahm das braune Buch vom Schreibtisch.
»Ellens Problem ist, sie glaubt an Worte -«
»Angesichts ihres Berufs überrascht mich das nicht.«
»- und die Crux mit den Lesern ist genau die: Sie versuchen, die Matrix zu finden, die Schlüsselworte zur Bedeutung. Der Dekonstruktivismus ist die einzig adäquate -«
»Ihres?« unterbrach Jury ihn und winkte mit Ungesäuerte Krisen , damit er zum Ende kam.
Vlasic schaute extrem selbstzufrieden drein. »Sie kennen die Redewendung: Der Prosaist verbeugt sich, wenn der Lyriker vorübergeht?« Er steckte die Pfeife wieder in den Mund und zielte mit einem flammenwerfenden Feuerzeug darauf.
»Ja«, sagte Jury und verzog keine Miene. »Sagen Sie, kennen Sie einen Mann namens Patrick Muldare? Er unterrichtet doch auch hier.«
»Ha! Wenn einer ein Dilettant ist, dann er! Ihm wird nur deshalb gestattet, hier zu lehren, weil er der Universität eine beträchtliche Summe Geld gestiftet hat.« Vlasic zog ein Taschenbuch aus denn Regal, blätterte es kurz durch und übergab es Jury. »Können Sie sich das vorstellen? Ein Seminar über Football!«
Jury nahm das Vorlesungsverzeichnis, las den Titel und lächelte. »Sehr unterhaltsam. Wo kriege ich so eines?« Er hielt es hoch.
»Behalten Sie es nur.«
Den Blick auf die beiden Bücherkartons unter dem Schreibtisch gerichtet, fragte Jury: »Ist es unverschämt, wenn ich Sie um ein Exemplar Ihres Gedichtbandes bitte, Dr. Vlasic?«
»Nein, nein - es ist mir ein Vergnügen.« Er zog eins aus dem Karton.
»Mit Autogramm?«
Mit einer überaus schwungvollen Armbewegung - er entrollte den Arm regelrecht - signierte Vlasic mit » Vlasic«.
»Allerherzlichsten Dank, danke schön«, sagte Jury in aller Bescheidenheit. »Übrigens, ob das Poe-Manuskript nun echt ist oder nicht, das machte den Wert für Beverly Brown nicht aus. Oder für jemanden in einer ähnlichen Situation«, fügte er hinzu.
»Da kann ich Ihnen nicht folgen.«
»Na ja, es wäre doch für jeden Wissenschaftler wertvoll. Selbst wenn es nicht echt ist, kann man eine Dissertation darüber schreiben, es auseinandernehmen, es in Stücke zerreißen, etcetera. Zu beweisen, daß es unecht ist, wäre doch genauso ein Bombending, wie zu beweisen, daß es echt ist.« Jury nahm Ungesäuerte Krisen zur Hand und blätterte es durch. »Ich meine, für jemanden, der gern ein Buch darüber schriebe, wie man eine Fälschung entlarvt. Und außerdem ein Schritt nach oben auf der Karriereleiter, oder?«
Dazu äußerte Vlasic sich nicht.
Kapitel 21
»Beverly, Beverly, Bever- hmmm.«
Owen Lamb schien bei Eigennamen automatisch Beschwörungsformeln anzustimmen, als leiere er ein Mantra herunter.
Inmitten endloser Bücherreihen, die auf dem Schreibtisch, auf den Regalen, überall, wo Platz war (vorzugsweise auf dem Boden), verteilt waren und seine zarte Gestalt schier erdrückten, saß er in seinem Büro in der Johns Hopkins. Sein ohnehin schon kurzer Oberkörper wirkte durch rote Hosenträger noch kürzer, es sah aus, als zögen sie seine Taille bis zum Brustkorb hoch. Er hatte zarte, beinahe durchscheinend weiße Haut wie altes Reispapier, von einem Netz feiner Adern durchzogen.
»Eine furchtbare Sache - ja, furchtbar.« Er schüttelte den Kopf und kratzte sich gedankenverloren am Ohrläppchen. »Haben Sie denn schon etwas herausgefunden?«
»Detective Pryce untersucht den Fall noch. Kannten Sie Miss Brown gut?«
Die Frage amüsierte Lamb. »Ich kenne niemanden gut. Ich halte mich weitgehend an meine Bücher. Beverly hat ab und zu für mich gearbeitet. Sie war ein nettes Mädchen, äußerst intelligent. Äußerst.« Er runzelte die Stirn und überdachte sein Urteil. Dann lehnte er sich zurück und schaute zur Decke. »Was allerdings dieses angebliche
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