Fremde Federn
ihn?«
»Ach, ich glaube, sie sah ihn als Trittbrett zu etwas anderem. Geld, Macht, Reputation.« Er lächelte, aber seine Stimme hatte einen veränderten Unterton, und er nahm eine aggressive Haltung ein, als er sich vorbeugte und eine Zigarette von Jury nahm. Jury zündete ein Streichholz an. »All das hat Patrick.«
Etwas in Losers Tonfall ließ Jury in Versuchung geraten, zu sagen: »Und Sie nicht.« Aber er schwieg.
Kapitel 20/I
Jurys Erfahrungen mit Oxford und Cambridge hielten sich in Grenzen, aber der Unterschied zwischen diesem offenen, weiten amerikanischen Campus, über dessen lange Auffahrt sie fuhren, und den Turmspitzen und verträumten kleinen Innenhöfen alter englischer Universitäten war frappierend. In Gedanken sah Jury wunderschöne alte Gebäude vor sich und Lehrende und Lernende in schwarzen Talaren über die windigen Plätze eilen.
Hier an der Hopkins schienen die Lernenden alles etwas langsamer angehen zu lassen, sie schlenderten über die Gehwege, die kreuz und quer durch das schneebedeckte Gras zwischen den klassizistischen Gebäuden mit weißen Säulen und den eher modernen Glas-Stahl-Konstruktionen verliefen, und strebten in Jeans und Daunenjacken mit ihren Büchertaschen zu den Seminarräumen und Parkplätzen. Meilenweit Autos, fiel Jury auf. Er war überrascht, daß die Studenten, die doch sicher immer knapp bei Kasse waren, so viele Autos besaßen. Und nicht genügend Parkplätze. Wiggins kutschierte das Mietauto einige Male im Kreis herum und entschied sich schließlich für einen Parkplatz, der für nichts weniger als einen Dekan vorgesehen war. Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm er eine »Polizei«-Kennungsmarke heraus und legte sie hinter die Windschutzscheibe.
Aus dem Gebäude zu ihrer Linken strömten Studenten mit Plastikbechern, Sandwiches, Pizzastücken. Die nahrhaften Dinge waren wohl dort drin erhältlich, folgerte Wiggins messerscharf und fragte, ob er rasch einen Tee trinken könne, nicht ohne daran zu erinnern, daß er ja Mr. Losers Anerbieten, einen Tee in seinem Café zu trinken, abgelehnt habe. »Ich bin völlig ausgedörrt.«
Jury sagte: »Nur zu. Ich rede mit Vlasic und Muldare, wenn er da ist, hole Sie dann hier wieder ab, und wir gehen zusammen zu Professor Lamb. Da haben Sie genügend Zeit. Nehmen Sie einen Tisch an der Tür.«
Wiggins, die Dankbarkeit in Person, begab sich von dannen.
Kapitel 20/II
Trotz seines Namens sah Alejandro Vlasic weder mittelamerikanisch noch mitteleuropäisch, sondern wie ein Yankee aus. Aber er verwandte einige Mühe darauf, sich sowohl im Aussehen als auch in der Sprache einen britischen Anstrich zu geben. Jury stand an der Tür zu seinem Büro und hörte ihn sofort heraus, als er Studenten begrüßte und verabschiedete. Vlasic rauchte Pfeife (was sonst), trug ein grünes Cordjackett mit Lederflecken an den Ellenbogen und das Haar lang, damit er wie ein Bohemien wirkte, der auf die Dienste eines Friseurs keinen Wert legt.
Schließlich mußte Jury ihn doch bei seinem Gespräch mit einem Studenten unterbrechen. Der allerdings sah aus, als habe er eine Harley Davidson, wenn nicht eine ganze Rockerbande draußen stehen.
Professor Vlasic kam Jurys Besuch keineswegs ungelegen; er schien sogar erfreut, daß ihn ein Beamter der Mordkommission von Scotland Yard beehrte. Wie Ellen lehrte er kreatives Schreiben und amerikanische Literatur. Aber im Gegensatz zu ihr, einer nicht unbekannten Romanautorin mit zwei kommerziell erfolgreichen Büchern und einem Literaturpreis hatte Vlasic es bisher nur zu einem dünnen Bändchen Gedichte gebracht. Es hieß Ungesäuerte Krisen, wie Jury unschwer erkannte, denn drei Exemplare waren an strategisch wichtigen Stellen im Raum verteilt (Schreibtisch, Bücherbord, Couchtisch). Brauner Einband, der Titel in Goldprägung, damit es wie ein Ledereinband wirkte, Goldschnitt und wie von Hand beschnittene Seiten - prächtig, ein Prunkstück. Unter dem Schreibtisch standen Kästen mit schmalen braunen Büchern; als Jury den Kopf leicht zur Seite neigte, sah er, daß es sich um weitere Prachtausgaben der Gedichte handelte.
Vlasics Büro war wie Vlasic: gelehrt. Eine Wand war komplett mit Walnußregalen bedeckt, die nächste zur Hälfte ebenfalls; Couch, Kretonnesessel und Couchtisch schlossen sich an. Es gab schlanke Vasen mit üppigen Blumenarrangements und Vorhängen an den Fenstern. Ramponierte Fichte und Büroaktenschränke aus Metall suchte man hier vergebens. Nein, alles wirkte wie ein zweites Heim und
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