Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
Poe-Manuskript betrifft, erachte ich es als höchst unwahrscheinlich, daß sie es geschrieben hat.«
    »Sie glauben, es ist echt?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Ganz im Gegenteil, ich halte es nicht für echt. Das ganze Ding riecht doch nach Fälschung, oder etwa nicht? Es ist schon schwer genug, Poes Unterschrift zu fälschen, ganz zu schweigen von einer vollständigen Erzählung.«
    Jury zog die Stirn in Falten. »Aber widersprechen Sie sich da nicht selbst, Professor?«
    »Hm! Wird wohl so sein. Ich meine lediglich, es kann einfach nicht echt sein.«
    »Ich bin mit Poes Werken nicht sonderlich gut vertraut, aber es klingt doch sehr nach ihm.«
    »Ja, aber den Inhalt zu imitieren wäre doch recht simpel. Verglichen mit anderen Schriftstellern, meine ich. Ich will Ihnen eines über Fälschungen sagen, meine Herren: Der Inhalt ist unwichtig, wichtig ist der Schreibstil. Der Unterschied zwischen einem gefälschten und einem echten Dokument liegt fast immer in der äußeren Form. Angefangen mit der Handschrift.«
    »Was ist mit der hier?«
    »Die überzeugt nicht. Aber ich sage Ihnen noch etwas.« Er brach ab und lächelte, als freue er sich über einen gelungenen Zaubertrick. »Wer auch immer das Skript geschrieben hat, ist sich bewußt, daß eines eminent wichtig ist: Jede Schrift hat einen bestimmten Rhythmus. Ein Amateur zerstört den Rhythmus fast immer, weil er ständig auf die Vorlage schauen muß. Dabei kommt dann so ein stockendes Schriftbild heraus, bei dem die Bögen und Schwünge nicht flüssig sind.«
    Wiggins war verwirrt. »Könnten Sie das genauer erklären, Sir?«
    »Natürlich, aber ich möchte vorausschicken, daß ich wirklich kein Handschriftenexperte bin. Wenn ich überhaupt etwas darüber weiß, dann nur, weil mir als Genealoge häufig Dokumente zum Überprüfen auf den Schreibtisch flattern. Ich habe manch eine Fälschung gesehen. Wenn Sie sich in eine Handschrift wirklich hineinfinden wollen, müssen Sie etwas von Anatomie verstehen, von der Knochenstruktur, der Anordnung der Handwurzel-, der Mittelhand- und Fingerhandknochen. Sie müssen etwas über Kugelgelenke wissen, wie sich das Handgelenk dreht, und dergleichen mehr. Aber um auf den Fluß der Bögen zurückzukommen - Bewegung und Stärke der Linien sind von Bedeutung. Normalerweise sieht man ja den natürlichen, das heißt, den glatten, ununterbrochenen Verlauf der Bögen. Nun, je langsamer sich der Stift bewegt, desto mehr Unregelmäßigkeiten erhält man in der Linienführung.
    Probieren Sie es selbst aus, schreiben Sie einmal langsam, und schon haben Sie ein Zittern, ein Zögern, ein leichtes Stocken im Schriftbild. Man schreibt die Buchstaben nämlich nicht getrennt voneinander. Das tut man nur als Kind, wenn man schreiben lernt. Aber wenn man einmal schreiben kann, folgt die Schrift einem bestimmten Rhythmus. Der Rhythmus bestimmt den Verlauf der Bögen. Und dann das ständige Überprüfen - das macht sich bei gefälschten Dokumenten oder Unterschriften bemerkbar. Sie können Ihren Namen leicht mit geschlossenen Augen schreiben, nicht wahr? Aber eine Unterschrift, die Sie fälschen wollen, beileibe nicht. Sie müssen die Buchstaben immer wieder überprüfen - Sie schauen vor und zurück, vor und zurück.« Owen zuckte bescheiden mit den Schultern. »Wie dem auch sei, über dieses Dokument muß jemand viel Gelehrteres als ich ein Urteil fällen. Meine Sachkenntnis erstreckt sich mehr auf den Bereich von Dokumenten, die irgendein Scharlatan fälscht, um einem albernen Laffen, der mit Napoleon verwandt sein will, einen aristokratischen Stammbaum zu verscherbeln. Bei Unterschriften bin ich, glaube ich, ziemlich gut«, er hielt inne und zuckte wieder mit den Schultern, »und gelegentlich bekomme ich echte Dokumente, die nicht ganz so schwachsinnig sind.« Wieder machte er eine Pause und runzelte die Stirn. »Sogar neulich erst, aus Ihrem Land.«
    »Auf dem Manuskript war eine Unterschrift«, sagte Wiggins.
    »Da muß ich einräumen, daß ich sie geprüft und für gut befunden habe. Die Unterschrift von Poe wirkte eher wie ein Muster, nicht wie lediglich aneinandergefügte Buchstaben. Daran, wie die Buchstaben aneinandergereiht sind, erkennt man eine gefälschte Unterschrift. Ich konnte die üblichen Pausen, das Hochheben des Stifts, all diese Dinge, nicht feststellen. Doch ich bin sicher, einer genauen Überprüfung durch einen Experten wird sie nicht standhalten.« Er lachte. »Sie glauben doch nicht, ein Haufen erfahrener alter Hasen

Weitere Kostenlose Bücher