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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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war topmoderner Edelschick.
    Bevor Jury sagen konnte, warum er hier war, begann Vlasic - Doktorvater, Poet und Poe-Experte von eigenen Gnaden - mit Namen um sich zu werfen: Edward Albee, John (»Jack«) Barth, Doris Grumbach und andere Größen der Universität. Allerdings nannte er keine Lyriker, obwohl, da war Jury ziemlich sicher, die Johns Hopkins Lyriker hervorgebracht haben mußte, deren Ruhm dem ihrer Prosaisten und Dramatiker in nichts nachstand. Aber deren Namen aufzufahren, hatte Tücken: Einerseits hielt sich der Professor gern für ein Mitglied dieser erlauchten Szene, andererseits rangierte sein Name ziemlich weit unten auf der Liste.
    Mitten in das Staraufgebot berühmter Namen ließ Jury den Namen Beverly Brown fallen.
    »Sehr traurig«, sagte Professor Vlasic. »Tragisch. Sie war eine blitzgescheite Frau.« Er seufzte und drehte den Kopf so, daß das Licht vom Fenster auf seine hohe Stirn und die Hakennase fiel. Jury vermutete, daß er seinem rechten Profil den Vorzug gab. Wenn er das Kinn noch ein winziges Millimeterchen vorgestreckt hätte, wäre ihm eine byroneske Pose gelungen. Zu dumm, daß er nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem englischen Dichterfürsten hatte.
    »Sie waren Beverly Browns Doktorvater?«
    »Ja. Sie war eine außergewöhnliche Studentin. Dennoch mußte ich ihrer Phantasie manches Mal Einhalt gebieten; meine eigene Interpretation Poes -«
    Jury wollte verhindern, daß er nunmehr seine eigene Interpretation vom Stapel ließ. »Irgendeine Ahnung, warum sie jemand umgebracht hat, Professor Vlasic?«
    »Absolut keine. Man darf gar nicht daran denken.«
    »Aber jemand hat daran gedacht.«
    Vlasic zuckte zusammen, als zeuge Jurys Bemerkung von einigermaßen schlechtem Geschmack.
    »Sie mochten sie auch sehr gern, oder?«
    »Aber natürlich. Warum nicht?« fuhr Vlasic empört auf.
    »Noch einmal zurück zu ihrer Doktorarbeit - was halten Sie von dieser Poe-Geschichte?«
    »Der Geschichte, die angeblich von Poe ist, Superintendent. Angeblich.«
    »Sie glauben, es ist eine Fälschung?«
    Vlasic entschloß sich zu wohlwollender Neutralität. »Hm, einen Großteil davon könnte man für authentisch halten. Das Textkorpus Poes kommt zur Anwendung.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Poe neigte dazu, in seinen Werken bestimmte Worte und Phrasen häufig zu wiederholen. Wissen Sie, wie ein Schauspieler, der einen Vorrat an Monologen hat, mit de-nen er sein Publikum unterhält. Wenn Sie Poes Werk durchforsten, finden Sie immer wieder dieselbe Idiomatik
    - >undurchdringliche Düsternis<, und dergleichen mehr.«
    »Soweit ich weiß, wollte Miss Brown die Erzählung als Grundlage für ihre Dissertation benutzen.«
    »Darüber hatten wir noch keine Einigung erzielt.«
    »Was hat Sie zögern lassen?« Jury lächelte. »Die Arbeit wäre doch eine Sensation gewesen.«
    »Aber das ist doch das Problem! Wir wollen Wissenschaftlichkeit, keine Sensationen!«
    »Ich meine das Wort nicht im abwertenden Sinn.«
    Aber Vlasic wollte nicht Jury, sondern sich selbst hören. »Und die Frage der Authentizität ...« Er legte das Kinn auf die Brust und kaute am Ende des Pfeifenstiels. »Sie hat sich geweigert, uns den gesamten Text zur Prüfung auszuhändigen. Ein Fragment! Das allein war schon verdächtig.«
    »Vielleicht hatte sie Angst, daß es ihr jemand stehlen würde.«
    »Sie hat es aber einer Professorin zur Aufbewahrung gegeben.«
    Die Professorin lag Vlasic im Magen, vermutete Jury. Patrick Muldares Worte kamen ihm in den Sinn. »Vielleicht vertraute sie Ellen Taylor.«
    Vlasic war überrascht. »Sie kennen sie?«
    Jury nickte.
    »Heute nachmittag erst habe ich mit Ellen einen Kaffee getrunken. Ein paar meiner Studentinnen waren anwesend. Wissen Sie, es ist schlechterdings unmöglich, Ellen in irgendeine Art wissenschaftlichen Diskurses zu verwickeln. Ich will ja nicht schlecht über Kollegen reden -«
    Hm, hm, dachte Jury.
    »- aber Ellen Taylor ist nicht eine der verantwortlichsten, weder in der Lehre noch in der Forschung.« Vlasic klopfte die Pfeife aus. Jetzt würde er erst einmal aus dem Nähkästchen plaudern. »Wie Sie wissen, lehren Ellen und ich beide Schreiben, aber unsere Methodik unterscheidet sich wie Tag und Nacht.« Er zückte den Pfeifenreiniger. »Ich verwende das halbe Semester auf die Methodologie. Zwei Wochen lang ausschließlich Vorlesungen über Struktur; weitere zwei über die Dekonstruktion des poetischen Symbols -«
    Jury zog die Augenbrauen hoch.
    »Sie entschuldigen, wenn ich

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