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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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in der Hand, trank aber nicht, sondern gestikulierte damit herum und redete über Poes Leben. In vieler Hinsicht war es erschreckend -immer war das Leben dieses Mannes von Armut, erbärmlicher Armut, überschattet gewesen, als habe sein eigener schwarzer Schatten darüber gelegen. Sie schauten sich die aus alten Zeitungen herausgeschnittenen Nachrufe in der Vitrine an, und der Kustos sprach mit einer, wie Melrose fand, anrührenden Bitterkeit über Poes Widersacher.
    »Dieser Griswold«, sagte er, »hat es sogar geschafft, Dickens gegen Poe aufzuhetzen, ganz zu schweigen von Hunderten anderer. Wenn ich schon höre, daß die Leute Poe beschuldigten, er habe Alkoholorgien gefeiert. Dabei vertrug er kaum was, weil er vermutlich allergisch gegen das Zeug war. Oder wie sie ihn später stigmatisierten, weil er seine vierzehnjährige Cousine geheiratet hat, und ganz vergaßen, daß es damals absolut üblich war, sehr jung und auch unter Cousins und Cousinen zu heiraten. Ein Buschmann würde uns auch für unzivilisierte Barbaren halten, weil wir keine Bumerangs werfen können, nicht wahr? Andere Zeiten, andere Sitten.«
    Ja, fuhr er fort, die Polizei habe sie hier natürlich des langen und breiten befragt, denn er und seine Leute hätten wie jedes Jahr in der Nacht von Poes Geburtstag Wache gehalten. Das sei fast ein Ritual, diese Wache auf dem
    Friedhof, bei der sie auf den Herrn warteten, der die Rosen und den Kognak brachte. Er selbst sei, sie alle seien, sehr intensiv verhört worden, unangenehm intensiv. Der Kustos lächelte. Aber diese Brown habe sehr wohl gewußt, es sei ihr durchaus bekannt gewesen, daß das Ganze eine Scharlatanerie sei - eine Maskerade, bei der einer seiner Leute sich als der Überbringer der Blumen verkleidete, um sich mit den Leuten, die sich auf dem Bürgersteig neben der Kirche versammelten, einen Scherz zu erlauben. Wenn sie nämlich meinten, sie hätten den Mann im Cape mit den Blumen und der Flasche gesehen, gingen sie fort. Immer. Warum diese Brown nicht auch weggegangen sei ... Er zuckte die Achseln.
    Melrose und der Kustos standen zu beiden Seiten einer Glasvitrine, in der Zeitungsausschnitte und Briefe lagen, und der Kustos schwang seinen Becher und sprach darüber, wie absurd die These der jungen Frau über das vermeintliche Manuskript sei. Poe habe sich nie mit seinen Arbeiten geziert, er habe sie nicht in Schubladen verborgen oder in Truhen versteckt. Herr im Himmel, er habe das Geld gebraucht! Daß eine vollständige oder beinahe vollständige Geschichte jetzt ans Tageslicht komme - das sei zu grotesk, als daß man auch nur einen Gedanken daran verschwenden könne. Das Manuskript habe er nicht gesehen, nein. Er sei nicht objektiv - das könne man von ihm wirklich nicht verlangen, lachte er.
    Er war ein liebenswürdiger Kerl, und lachte, weil er sich so ereiferte. Aber das Manuskript, dieser sogenannte »Fund«, bereitete ihm doch Kopfschmerzen. Melrose fand, daß er es sehr persönlich nahm. Poe war eben sein Schützling. Und so formulierte er es auch: Ein Künstler hatte Schwächen und Widersacher, infolgedessen aber auch Menschen, die ihn protegierten. Und es lag in der Natur der Sache, daß bei einem Genie wie Poe, noch dazu einem berühmten, die Zahl der Gegner größer und die der Beschützer geringer wurde.
    Poe, meinte Melrose, hätte über das »Manuskript« doch wahrscheinlich nur gelacht.
    Gelacht? Nein, garantiert nicht! Und es wäre auch falsch gewesen. Warum sollte ein Autor doppelt bezahlen, nämlich ruhig zusehen, wie ein Stümper seine Arbeit stahl, und dann auch noch so tun, als sei es unerheblich? Es sei schlimm genug, wenn man das einem lebenden Autor antue, aber diese Frau - das sei doch wie Grabschändung, als zöge man alte, zerbrechliche Knochen, die in einem bestimmten, filigranen Muster in der Erde lägen, heraus und ordne sie neu zu einem groben, plumpen Gebilde. Schlimmer als Mord. Jeder, der die Arbeit eines anderen stahl und sie als eigene ausgab, würde auch vor einem Mord nicht zurückschrecken.
    Und während sie so redeten, nahmen die Dinge einen immer mehr allegorischen Charakter an: Die junge Frau, die Öffentlichkeit, die Widersacher. Und zwar proportional zu der Wut des Kustos’ über das Eindringen eines Menschen mit unlauteren Absichten in das Leben, das (in gewissem Sinne) seiner Obhut überantwortet war. Das alles sagte er nicht explizit, aber Melrose spürte es. Und empfand es als durchaus angemessen, daß der Kustos die Situation so empfand.

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