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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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fahren kann, um eine Verbindung nach Stratford zu kriegen.«
    »Ich weiß es nicht. Sie hat nichts gesagt.«
    Jury entschuldigte sich, murmelte, er komme gleich zurück, und lief zur Tür.
    »Wo will er hin?« fragte Charly.
    »Also, ich tippe, zum Bahnhof.«
    »Sehr erleichtert wirkt er aber nicht.« Charly schaute hinter Jury her.
    »Doch, doch, ist er aber. Ehrlich gesagt, mache ich ihm nicht zum Vorwurf, daß er enttäuscht ist.« Plant zückte sein Taschentuch und wischte eine kleine Bierlache von Charlys Glas weg. »Sie haben Ihre Sache wunderbar gemacht. Sie beide.« Charly bedankte sich, aber er hatte den Eindruck, mehr für das Aufwischen als für seine anerkennenden Worte. Alle paar Sekunden drehte sie den Kopf zur Tür, durch die Jury verschwunden war, als käme er dadurch zurück. »Ich hätte Jenny liebend gern nach Hause gefahren«, sagte Melrose.
    Nun schaute Charly Moss ihn an. »Ich weiß, das ist eine sehr persönliche Frage, aber Sie scheinen beide . hm . sie scheinen Jennifer Kennington alle beide sehr zu mögen. Handelt es sich um eine alte Freundschaft oder -«
    »Liebe, meinen Sie?« Melrose hoffte, er klang überzeugend, sowohl für ihn als auch für Charly, als er sagte: »Nein, wir sind alte Freunde. Jedenfalls, was mich betrifft«, fügte er hinzu.
    »Und Richard?«
    »Oh, für ihn kann ich nicht sprechen.«
35
    Das Bahnhofsgebäude war menschenleer. Er fand weder den Bahnhofsvorsteher noch jemanden am Fahrkartenschalter. Und als er endlich die an die Wand gehefteten Fahrpläne sah, verstand er wirklich nur noch Bahnhof. Zugfahrpläne mit ihren in zwei entgegengesetzte Richtungen zeigenden Pfeilen konnten Fahrpläne zum Himmel oder zur Hölle sein, wo man ankam, war völlig willkürlich. Wenn er jemals einen Fall übernehmen mußte, in dem ein Zugfahrplan die heißeste Spur war, würde er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ungelöst bleiben.
    Er begriff, daß es keine direkten Züge nach Stratford-upon-Avon gab. Was ihn nicht überraschte. Wo aber konnte der Reisende auf dem Weg dorthin umsteigen? In Lemington Spa? Coventry? Warwick? Überall vermutlich. Sie mußte über London oder Birmingham und zwei-, dreimal umsteigen, überlegte er. Die Reise würde mehr als vier Stunden dauern, es war lächerlich. Besonders weil Melrose Plant heute abend nach Northampton zurückfuhr und Stratford praktisch auf dem Wege lag.
    Aber darum ging es ja gar nicht. Warum hatte sie sich so aus dem Staub gemacht? Wollte sie ihn etwa bestrafen? Er hatte doch für sie getan, was er konnte.
    Und warum hatte er sich eben im Pub so danebenbenommen? Pete Apted und Charly hatten schließlich einen Mordscoup gelandet! Ach, er wußte nur zu gut, weshalb er so mieser Stimmung war. Jenny würde zwar nicht angeklagt werden, ein Freispruch war es aber auch nicht. Alle möglichen Fragen waren unbeantwortet geblieben.
    Nun verstand er, warum Apted darauf gedrungen hatte, daß beide Anklagen zusammen verhandelt wurden. Denn wenn er die eine abschmetterte, brachte er damit auch die andere zu Fall. Und es war so simpel, so offensichtlich gewesen. Aber hinterher ist man ja immer klüger.
    Jury riß die Tür zu den Gleisanlagen auf. Die Bahnsteige im grauen Abendlicht waren menschenleer, nur an einem Ende sah er einen Jugendlichen stehen. Jury lief hin und her, als sei auch er ein Reisender, der ungeduldig auf die Abfahrt wartet. Er sehnte sich danach, den Zug nach Irgendwo zu nehmen, den nächsten Zug, dessen Zielort er nicht kannte.
    Was war sie undankbar! Melrose bezahlte die Anwaltsrechnungen, mein Gott, da hätte sie sich zumindest von ihrem Wohltäter verabschieden können, wenn schon nicht von ihm, Jury. Er seufzte. Aber so richtig empört war er nicht.
    Der Junge saß auf der letzten Bank, schlug mit den Händen auf die Kante und starrte vor sich hin. Er trug einen Irokesenschnitt, blau und lila gefärbt, und hatte die übliche Punkerkluft an. Jury dachte, die Frisur und die Klamotten seien längst aus der Mode. Neben dem Jungen stand ein Ghettoblaster, wie sie Jury aus der Oxford Street und vom Piccadilly Circus kannte. In einer untypischen Geste der Rücksichtnahme auf seine Mitmenschen hatte der Junge sich die Kopfhörer eingestöpselt. Trotzdem sickerte Musik durch.
    Jury schlug seinen Kragen hoch, als ihm der Wind einen Regenschleier ins Gesicht blies. Er setzte sich auf eine der zierlichen Bänke und schob die Hände tief in die Taschen seines Regenmantels. Er machte ganz den Eindruck eines Mannes, der

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