Fremde Federn
nicht völlig außerhalb der eigenen finanziellen Möglichkeiten liegt.«
»Das Dumme ist nur, daß sie höllisch schwer zu datieren sind. Die Zahl der Nachgüsse muß Legion gewesen sein.«
»Die Nachgüsse.« Das Wort gefiel Melrose. »Ja, die Nachgüsse. Die schaffen immer Probleme.«
Daß Max schon bei der nächsten Trophäe war, merkte er erst, als dessen Stimme vom anderen Ende des Zimmers kam. »Das ist Grace' Lieblingsstück.«
Wenn es das Lieblingsstück von jemandem war, dann sollte es, verdammt noch mal, auf der Liste sein! Mist - Melrose atmete tief durch - Fehlanzeige. Lieblingsstücke hatten ihre Tücken, denn ihr echter Wert verlor sich oft irgendwo im Morast der Gefühle. Die Leute liebten sie nicht wegen ihres tatsächlichen Werts, sondern aus nur ihnen eigenen sentimentalen Gründen. An Max' dümmlicher Miene merkte Melrose, daß dieses Teil schwer zu schätzen war. Es sah aus wie ein Lesepult, hatte aber zwei einander gegenüberliegende, verstellbare Platten. »Ein Lesepult?«
»Also ich tippe auf einen Notenständer für zwei Personen.« Max freute sich diebisch, daß er das herausgefunden hatte.
Das Ding machte nicht viel her, und Melrose hatte keinen blassen Schimmer, wieviel es wert war. Also behalf er sich mit den üblichen Floskeln. »Feine Patinierung. Sieht nach der originalen aus.« Die Chancen, daß er damit durchkam, standen fünfzig zu fünfzig. Max nickte, also bewegte sich Melrose innerhalb der richtigen fünfzig Prozent. Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Elegant. Die Kerzenständer sind recht hübsch.« Er berührte einen der einstmals zum Lesen der Noten unerläßlichen Kerzenhalter. In der Mitte des dreifüßigen Stativs war eine kleine quadratische Schachtel befestigt. »Was könnte das sein?« Ein wenig Ignoranz sollte er schon zeigen, und in diesem Fall fiel es ihm auch gar nicht schwer.
»Eine kleine Schublade, in der das Kolophonium aufbewahrt wurde. Dadurch bin ich überhaupt nur darauf gekommen, daß es ein Notenständer ist.«
Max ging weiter zu einem ziemlich klotzigen Sekretär, sicher keine Rarität. Zu gewöhnlich für diese Sammlung, hätte Melrose gedacht. Aber Max war augenscheinlich anderer Meinung, er behandelte ihn wie sein Hätschelkind. »Maulbeerbaum. Das sieht man hier an der Seite, wo das neue Holz eingesetzt worden ist, keine sehr gute Imitation.«
Melrose, der die ganze Zeit so getan hatte, als schriebe er emsig mit, steckte nun Stift und Notizbuch weg. »Sie haben ein sehr besonderes Gefühl für diese Dinge«, sagte er und schaute sich die Einlegearbeit genauer an.
Einen Moment dachte Max nach. »Weil sie alle eine Geschichte haben. Ich meine, manchen war ich jahrelang auf der Spur. Ich weiß, wo sie herkommen.« Er ging zu dem lackierten Regency-Sekretär. »Dieser hier zum Beispiel. Den habe ich zum erstenmal vor zwanzig Jahren im Schaufenster eines kleinen, dunklen Ladens in der Old Kent Road gesehen. Ich glaube, auf dem Weg zu einem Begräbnis, wessen, weiß ich nicht mehr.« Er überlegte angestrengt. »Auf dem Weg nach - Brighton vielleicht.« Sie blieben neben dem Petit-point-Sofa stehen, und Max sagte: »Setzen Sie sich doch«, mit einer Miene, als wolle er nun eine lange Geschichte erzählen. »Ein netter alter Herr. Ganz offensichtlich nicht nur wegen des Geldes im Geschäft. Aber wenn ich es recht bedenke, sind viele Händler, die ich kenne, nicht nur wegen des Geldes dabei.«
Da hatte Melrose seine Zweifel.
»Ich glaube, daß viele eine besondere Liebe zur Vergangenheit, ein Gespür dafür haben«, fuhr Max fort. Dann klopfte er auf seine Jackettasche, zog ein Päckchen Silk Cuts heraus und bot Melrose eine an.
Ach, da konnten sie gemeinsam sündigen. Melrose freute sich, daß überhaupt noch jemand rauchte, und zog sein altes Chrom-Zippo aus der Tasche. Das hatte Trueblood aufgespürt, er meinte, es passe besser zu einem exzentrischen Antiquitätengutachter als Melrose' goldenes Feuerzeug. Melrose mochte, wie es aufklackte, wie sich das winzige Rädchen an dem Feuerstein rieb und wie es klackte, wenn man den Deckel wieder schloß.
Max zog den Murano-Aschenbecher heran und stellte ihn zwischen sie. Dann nahm er auf dem Sofa Platz, schlug die Beine bequem übereinander und strich sich mit der Hand über seine seidenen Socken. »Als der alte Bursche sah, wie begeistert ich von dem Möbel war, nannte er einen niedrigeren Preis, als er von jemand anderem verlangt hätte. Da war ich sicher. Aber es war immer noch zuviel für mich.
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