Fremde Federn
biß die Spitze ab und entzündete sie mit einem Flammenwerfer von Feu-erzeug. »Dick«, er deutete mit dem Kopf in Richtung der Männer, »sagt immer: >Wenn die Natur gewollt hätte, daß die Fens hier trockenes Land sein sollten, dann hätte sie sie von vorneherein trocken gemacht.< Natürlich sind die >verdammten Holländer< die Buhmänner. Kommen an und bauen die ganzen Kanäle, damit das Wasser ins Meer fließt. Wenn man Dick reden hört, meint man, die Trockenlegung sei erst letzte Woche erfolgt. In gewisser Weise beneide ich ihn. Es wäre schön, wenn die Vergangenheit so nah und zugänglich wäre.«
»Kommt drauf an, was für eine Vergangenheit man hat, würde ich mal meinen.« Sie standen neben einer kleinen, verfallenen Brücke, die sich etwa zwei Meter über einen schmalen Kanal spannte. Sie schien keinen rechten Nutzen zu besitzen, man hätte mit einem Satz über das Wasser springen können. Vielleicht hatte man sie lediglich aus ästhetischen Gründen gebaut. Sie stand unter Weiden, deren Blätter über das verrottende Holz streiften, daneben wuchsen Schilf, Wasserampfer und Felberich.
Romantisch sah die Brücke aus, wie die Szene insgesamt. Vielleicht lag es an der archaischen Arbeit, den sich abplackenden Pferden, die die Eiche aus ihrem nassen Bett zogen, Jack Price mit Stiefeln und Mütze und dem Stumpen im Mund, dem sehnigen alten Farmer und seinem kräftigen Sohn, dem in der Frühmorgenluft weiß dampfenden Atem der Gäule. Als sei ein Gemälde von Constable lebendig geworden. Melrose betrachtete das kreidige Wasser des Kanals und fragte Jack, in welchen Fluß es mündete.
»Höchstwahrscheinlich in den Welland. Dort drüben, wo das Schilf wächst, ist Sumpf entstanden. War früher offenes Gewässer. Nach dem Schilfsumpf wachsen Wälder, oder es wird zu Marschland. Allein an dieser Stelle sind Flora und Fauna so reich, daß sich Forscher jahrelang damit beschäftigen könnten.«
»Fließen die Flüsse denn alle in den Wash?«
»Ja, nehme ich doch an.«
Vorsichtig fragte Melrose: »Sind Sie nicht furchtbar neugierig zu erfahren, was Verna Dunn am Wash wollte?«
Jack lächelte. »Über Verna, das gerissene kleine Luder, versuche ich mir nicht allzusehr den Kopf zu zerbrechen. Aber ja, ich finde es schon sehr eigenartig. Sie war kaum der Typ, der solche Orte aufsucht, um mit der Natur Zwiesprache zu halten oder heroische Gedanken zu wälzen. Ich kann es mir nicht vorstellen. Außer -«
Er schwieg, und Melrose wollte ihm schon das nächste Stichwort geben, da entschuldigte Jack sich und ging dorthin, wo die Bergungsaktion stattfand. Ein paar Minuten lang redete er mit den beiden Männern und gestikulierte in Richtung der Pferde. Melrose überlegte, ob sie auch zum Reiten benutzt wurden. Trotz seiner Herkunft kannte Melrose sich bei Pferden nicht aus, ein passionierter Reiter war er nie gewesen. Was die Leute, die ihn unbedingt immer mit zur Jagd nehmen wollten, stets ärgerte. Dabei schauderte es ihn schon bei dem bloßen Gedanken daran.
Als Jack Price zurückkam, sich neben ihn stellte und seine Zigarre anzündete, sagte Melrose: »Wir haben über die Leiche am Wash geredet. Sie haben gesagt, Sie könnten sich keinen Grund vorstellen außer -«
»Ich meine, wer auch immer sie an den Wash gelockt hat, wollte sie von Fengate weglotsen. Dann hätte einer von uns als der Schuldige dastehen können.«
»Richtig.« Das erklärte in Melrose' Augen aber immer noch nicht den mörderischen Treffpunkt am Wash. »Wie lange leben Sie schon bei den Owens?«
Jack nahm die Zigarre aus dem Mund und prüfte, ob sie noch an war. »Schon lange. Es fällt mir schwer, Max >Onkel< zu nennen, weil wir nur fünfzehn oder sechzehn Jahre auseinander sind. Er hat mich aufgenommen, als meine Mutter, seine Schwester, starb. Da war ich noch ein Teenager. Meinen Vater, einen nichtsnutzigen Trunkenbold, habe ich nicht mehr gesehen. Zehn Jahre später ist er auch gestorben. Bei Max wohne ich also schon sehr lange.« Er lächelte und paffte an seiner Zigarre. »Um dieses Arrangement würde mich jeder Künstler beneiden, der sich mit einem bürgerlichen Job über Wasser halten muß. Ich habe nicht nur ein Studio, sondern bin dort auch völlig für mich. Ich könnte tagelang da drin arbeiten, und keiner würde mich stören. Wenn ich arbeite, gehen sie davon aus, daß ich allein sein will, und Sug-gins stellt mir ein Tablett mit Essen vor die Tür. Es ist so gut wie in einer Künstlerkolonie, nein, besser. Einfach wunderbar.
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