Fremde Federn
Sie hätten einen seiner Freunde zusammengeschlagen.« Unter den Papieren auf seinem Schreibtisch zog Ford einen Zettel hervor. »Sykes, ein junger Bursche im Reklamegeschäft. Entspricht das der Wahrheit?«
»Ja, Sir.«
»Sie haben die Nacht im Gefängnis verbracht, richtig?«
»Richtig, Sir. Ich wurde nicht unter Anklage gestellt.«
Ford antwortete nicht sofort. »Ist das alles? Sonst haben Sie nichts
zu sagen?«
»Sykes hat es verdient. Es ist eine persönliche Angelegenheit.«
Ford schüttelte den Kopf. »In der Regel gehe ich mit jemandem Ihres Schlages kein Risiko ein. Bei Ihnen habe ich eine Ausnahme gemacht, weil ich glaubte, Sie hätten Benehmen und Anstand. Gute Anlagen. Ich habe mich getäuscht. Und Sie haben mich enttäuscht. Sie haben die ganze Firma enttäuscht. Sie haben gegen die Regeln verstoßen, die ich Ihnen in meinem Haus klargelegt habe. Sie erinnern sich doch noch daran, oder?«
»Ja, Sir, Sie haben ausdrücklich gesagt, keine Handgreiflichkeiten, die Schande über die Firma bringen könnten.«
»Genau das habe ich gesagt. Sie haben gegen die Regeln verstoßen und brüsten sich auch noch damit.« Ford sah ihn streng an. »Sie sind entlassen. Keine Abfindung, lediglich Ihr Wochenlohn. Ich gebe Ihnen eine halbe Stunde, Ihren Spind auszuräumen und das Gelände zu verlassen. Das ist alles.«
»Mr. Ford, gestatten Sie mir bitte zu sagen, daß es mir leid .«
»Nein, ich gestatte es nicht.« Sein Blick glich dem eines Racheengels. »Machen Sie nur so weiter, Carl, dann landen Sie irgendwann ganz unten. Ich bin der Meinung, daß jeder Mann eine zweite Chance bekommen sollte. Wenn Sie Ihre zweite Chance kriegen, dann sind Sie hoffentlich nicht so dumm, sie zu vermasseln.«
Das Telephon klingelte.
»Noch eins, Carl. Clymer sagte, daß er Sie, falls Sie es wagen sollten, auch nur einen Fuß auf sein Grundstück hier oder in Grosse Pointe zu setzen, für fünf Jahre ins Gefängnis bringen wird.«
Carl wollte etwas erwidern. Das Telephon klingelte ein zweites Mal. Mit wütender Geste bedeutete ihm Ford zu gehen, während er den Hörer abnahm und sagte: »Henry. Ja.«
32. ABSCHIED
Das Hotel Wayne befand sich in der Dritten Straße am Fluß neben dem Michigan-Hauptbahnhof. Mit seinen Marmorböden und Springbrunnen, seinen drei Bars, fünf Restaurants und einem Friseursalon, in dem zehn Kunden gleichzeitig bedient werden konnten, konkurrierte es mit dem Ponchatrain um die Ehre, »Detroits vornehmstes Hotel« zu sein. Carl war einmal unter den mißtrauischen Blicken des Empfangspersonals durch die Halle geschlendert, aber als er am Sonntag morgen um halb elf im Wayne eintraf in seinem alten braunen Cordmantel, Tess’ Schal um den Hals gewickelt, hätte er sich dort nicht einmal einen Kaffee leisten können. Er wartete neben dem geschlossenen Kassenhäuschen des hoteleigenen Rollschuhpavillons. Ein schläfriger Schwarzer öffnete einen Fensterladen nach dem anderen. Draußen auf dem sonnigen Fluß ertönte das Signalhorn eines Kohledampfers.
Tess kam um Viertel vor elf mit einem kleinen Korb in der Hand atemlos auf ihn zugerannt. Sie sah ausgeruht und erholt aus. Hand in Hand machten sie sich auf den Weg zum Fährhafen, wo sich die Tagesausflügler bereits vor der Pleasure, dem glänzenden weißen Schiff der Detroit Belle Isle & Windsor Ferry Company aufreihten.
»Vater hat mir erzählt, was du mit Wayne gemacht hast.«
Während er in der Hosentasche nach Kleingeld kramte, suchte er ihr Gesicht nach Anzeichen von Verärgerung ab, sah jedoch keine.
»Ich hab’ ihn ziemlich übel zugerichtet. Aber seine Schläger haben das Bein meines Mechanikers mit einem Fischhaken bearbeitet, wenn auch in dem Glauben, es sei meines. Du kennst Jesse doch. Er muß vielleicht für den Rest seines Lebens an Krücken gehen. In einer Gießerei kann man nicht mit Krücken arbeiten.«
»O mein Gott, das ist ja entsetzlich.«
»Ja, ist es. Jesse führt durch die Arbeit in der Gießerei ein leidlich gutes Leben. Daß ihm das passiert ist, ist allein meine Schuld.«
Er bezahlte zwei Rückfahrkarten. Sie bestiegen die Pleasure kurz bevor das Läuten der Messingglocke die Abfahrt anzeigte.
»Hat Wayne zugegeben, daß er die Männer geschickt hat?«
»Ja, aber ich kann es trotzdem nicht beweisen. Es ist einfach ein verdammter Mist.«
Tess ließ sich auf einer der Holzbänke im Freien nieder, von wo sich ein Blick auf die Steuerbordreling bot. »Das ist es wohl. Andererseits bin ich noch nie so glücklich gewesen
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