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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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sie hätte ihn besser verstanden. Sie sehnte sich nach einem weisen Orakel, das ihn erklärte. So hätte sie beispielsweise gern gewußt, ob die Tatsache, daß er das letzte von drei Kindern war, etwas mit seiner Unberechenbarkeit zu tun hatte.
    Sie legte den Brief zur Seite, blätterte den Block zur nächsten leeren Seite um. Der Bleistift in ihrer Hand bewegte sich fast wie von selbst über das Blatt, auf ihrem Gesicht lag ein träumerisches, seltsames Lächeln. Sie trug ein altes Kleid, weiß, mit gerüschten Ärmeln, dazu schicke, neue graue Strümpfe und weiße Sommerschuhe. Sie sah aus, als sei sie einem der Genrebilder von glücklichen Mädchen entstiegen.
    Der heiße Wind zerzauste ihr Haar. Nachdenklich blickte sie auf das Blatt. Sie hatte drei verschnörkelte Initialen gemalt. CTC
    In einem Krug klirrendes Eis weckte sie aus ihrem Tagtraum. Giselle war aus der Küche gekommen.
    »Ich dachte, Sie hätten vielleicht noch gern etwas Limonade, Ma’am.« Giselle setzte den feuchten Krug auf den weißen Eisentisch neben Tess’ Glas und Serviette ab. Giselle war sechzehn; in ihren Augen war Tess wahrscheinlich alt. Was sie, um ehrlich zu sein, auch tatsächlich bald sein würde.
    »Danke, Giselle, das ist sehr aufmerksam.«
    »Das ist mit der Nachmittagspost gekommen.«
    Sie reichte Tess eine grelle Postkarte mit dem Bild eines Holzindianers vor einem Zigarrenladen und den Worten ANDENKEN AN INDIANAPOLIS. Sie drehte die Karte um, hielt den Atem an. Die Nachricht bestand aus einem Satz, die Handschrift war offenbar verstellt, und es fehlte die Unterschrift: »Arbeite für >Barney O!<.«
    Sie mußte sich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen. Sie war unendlich dankbar für die Nachricht, die so wenig aussagte und gleichzeitig so viele Ängste beschwichtigte. Sie machte ihr die Entscheidung leichter.
    »Was malen Sie da, Ma’am, wenn ich fragen darf?« Giselle hatte sich die höflichen Umgangsformen der Alten Welt bewahrt. Mit Nachnamen hieß sie DePere; vor wenigen Generationen hatten ihre Vorfahren, französische Bauern, die herrlichen Obstbäume gepflanzt, die heute überall üppig blühten und Früchte trugen.
    »Nur ein Monogramm, für Kissen und so.«
    »Es sieht so hübsch aus. So ordentlich und ausgewogen.« plötzlich schoß ihr die Röte ins Gesicht, ob von der Hitze oder wegen ihrer eigenen Kühnheit, war schwer zu sagen, denn Giselle fragte: »Ist es Ihres?«
    Tess hob den Blick, doch ihre dunkelblauen Augen waren unergründlich. »Tja, wäre es, wenn ich den richtigen Mann dazu finden könnte.«
    Verwirrt rettete sich Giselle, indem sie auf den See hinaussah. Eine lange, anmutige Jacht näherte sich dem Steg. »Schauen Sie, Ma’am, ich glaube, das ist Ihr Vater.«
    »Er kommt früh. Er wird um halb acht zu Abend essen wollen.«
    »Ich sage dem Koch Bescheid.« Giselle ging über das verdorrte Gras zum Haus zurück.
    Tess streckte sich, ging im Geiste noch einmal durch, was sie ihm sagen wollte. Sie bestärkte sich in ihrem Entschluß, indem sie ein letztes Mal auf das Monogramm sah, um das Blatt dann abzureißen und es fest zusammenzuknüllen. Wenn nur der Schmerz in ihrem Herzen genausoleicht zu vernichten gewesen wäre!
    Der Kapitän der Hiawatha legte mit einem eleganten Manöver am Steg an. Seine Mannschaft bestand aus zwei ortsansässigen Jungen. Sie machten die Jacht fest. Lorenzo Clymer kam mit ausholenden Schritten den Steg herauf. Sein weißer Leinenanzug und sein weißer Hut bildeten einen perfekten Kontrast zum spiegelglatten Blau des Sees. Tess erhob sich, glättete ihren Rock und reckte sich mit einem angenehmen Kribbeln. Wie mürrisch er aussah! Aber das würde sich ganz bald ändern.
    »Vater«, sagte sie, als sie ihm entgegentrat.
    »Was ist?«
    »Ich möchte mit dir sprechen. Ich habe meine Meinung über Wayne geändert. Wenn du deinen Segen gibst, werde ich ihn heiraten.«
    Die Fünf-Cent-Theater sind nichts anderes als Lehrstätten des Verbrechens, wo Mord, Raub und Diebstahl bildhaft vorgeführt werden. Das gesetzlose Leben, das sie in ihren billigen Stücken zeigen, ermutigt zu Verbrechen. Sie erzeugen die Kriminellen, welche die Straßen unserer Stadt unsicher machen. Nichts, aber auch gar nichts, was sie zeigen, gereicht in irgendeiner Weise zum Wohl. Das einzig Vernünftige, was die Stadtväter tun können, ist, sie sofort zu schließen.
    Chicago Tribune, 1907
    TEIL DREI - Bewegte Bilder
    Wenn Griffith sich bewegte, bewegte ich mich ebenfalls. Ich folgte ihm auf

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