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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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erklärte, er sei ein angenehmer Mieter gewesen und jederzeit wieder willkommen. Schließlich schlang er den roten Schal um den Hals und machte sich mit seinem Bündel auf den Weg zu Jesse. Er traf seinen Freund im Garten hinter dem Haus, wo er einhändig an einem Blumenbeet arbeitete.
    Jesse ließ die Hacke sinken und lehnte sich auf seine gepolsterte Krücke. Sein linkes Hosenbein sah viel dicker aus als sein rechtes, er trug immer noch einen Verband.
    »Wollte nur vorbeischauen, um mich abzumelden, Jesse.«
    »Na dann, Carl. Du wirst mir fehlen, du warst ein richtiger Freund. Wenn du mich angesehen hast, dann hast du nie einen Farbigen gesehen, vielleicht höchstens beim ersten Mal. Glaubst du, du wirst Oldfield finden?«
    Carl nickte. Er deutete auf die verkohlten Überreste des Schuppens. »Wirst du ihn wieder aufbauen?«

»Klar doch. Ich kann ja im Sitzen arbeiten. Ich werde zuerst das Metall zusammenlesen, dann kann ich die Asche als Dünger verwenden.«
    »Und hast du dir schon was wegen Arbeit überlegt?«
    »Ach, da mach’ ich mir keine großen Sorgen. Es gibt immer irgendeine Niggerarbeit, die die Weißen nicht machen wollen, weil sie Angst haben, sich die Hände schmutzig zu machen. Vielleicht werde ich auch Barbier. Ich könnte mir einen Stuhl kaufen, so einen hohen, weißt du, dann müßte ich nicht stehen. Hab’ ziemlich ruhige Hände.«
    Carl fand den Gedanken grauenhaft, daß ein starker, freier Geist wie Jesse in irgendeinem Barbierladen für Farbige stehen sollte. »Hoot Edmunds würde dich jederzeit als Mechaniker einstellen.«
    »Schon möglich. Aber ich kann nicht mehr fahren. Kann die Pedale nicht mehr drücken.«
    »Es tut mir so verdammt leid, Jesse. Ich bin schuld daran.«
    »Ach was, überhaupt nicht«, antwortete Jesse abwinkend. »Mich hätt’s ohnehin irgendwann erwischt, weil ich mich für die Rechte der Arbeiter stark mache. Das wird in dieser Stadt noch viel Ärger geben. Hast du Tess gesehen?«
    »Wir haben uns am Sonntag verabschiedet. Sie hat mir diesen Schal gegeben.«
    »Ist das alles?«
    »Das ist alles.« Er umarmte Jess.
    Es war das klügste, sich rasch umzudrehen und einen schnellen Abgang zu machen, weil er andererseits auch gern noch geblieben wäre. Als es dunkel genug geworden war, sprang er im Güterbahnhof auf einen Güterwaggon, der Richtung Süden fuhr.
33. POSTKARTE AUS INDIANAPOLIS
    Eine drückende Schwüle lag über Grosse Pointe. Aber wie immer verhieß der August, ganz gleich, wie heiß er war, den bevorstehenden Wechsel der Jahreszeit. Keiner spürte das deutlicher als Tess. Das erste Gewitter, das kühle Luft aus den Wäldern des Nordens brachte, das erste verfärbte Blatt, das Drängen ihres Vaters, endlich in die Stadt zurückzukehren, all das waren deutliche Anzeichen dafür, daß ein Kapitel ihres Lebens sich dem Ende zuneigte.
    An einem Samstagnachmittag saß sie, da sie nichts Besonderes für den Abend geplant hatte, unter einem Sonnenschirm in einem Liegestuhl auf dem Rasen vor der Seemauer. Eine Mandoline lag neben dem Stuhl. Sie hatte sich entschlossen, Unterricht zu nehmen, doch die notwendige Begeisterung fehlte ihr.
    Sie schrieb einen Brief an Carl, ohne zu wissen, wann und ob er ihr jemals eine Adresse zukommen lassen würde. Sie war sich sicher, daß sie ihn nie wiedersehen würde, auch wenn er ein- oder zweimal schreiben mochte. Merkwürdigerweise fühlte sie sich seit kurzem wohler denn je. Ihre Kopfschmerzen waren verschwunden, ebenso die Krämpfe, und ihre Wangen blühten. Sogar ihr Vater hatte eine diesbezügliche Bemerkung gemacht.
    Seelisch war sie jedoch alles andere als wohlauf. Sie weinte oft stundenlang in ihr Kissen. Das Trauma, daß sie Carl freigegeben hatte, würde zwar schwächer werden, aber vergessen würde sie es nie. Sie wußte, daß sie ihn allein mit ihrer Liebe nicht hätte halten können. Sie hätte nur mit ansehen müssen, wie seine Seele bei dem Versuch, einen anständigen Ehemann abzugeben, im Laufe der Jahre verkümmert wäre.
    Sie fand ihre Entscheidung großmütig und war stolz darauf, aber dann verspottete sie sich auch wieder und fragte sich, wie ihr Edelmut sie in kalten Dezembernächten wohl wärmen würde. Jedes Mal wenn sie sich über ihre Stimmungsschwankungen ärgerte, tröstete sie sich, indem sie sich vorbetete: Ich bin keine Heilige, und er war auch kein Heiliger. Eher das Gegenteil. Aber ganz sicher war er der Mann, der ihrem Herzen immer und für alle Zeiten am nächsten stehen würde.
    Sie wünschte,

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