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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Straße, wo es um diese Zeit hoch herging. Ilsa hatte sich für ihre Ankunft einen herrlichen sonnigen Septembertag ausgesucht. Während der kurzen Taxifahrt zum Hotel Astor, fragte Fritzi: »Wie geht es Papa?«
    »Er ist ungehalten und wütend, wie immer - auf mich, seine Arbeiter, die Prohibitionsleute, aber am meisten, glaube ich, auf sich selbst. Der Herzanfall hat ihn stärker mitgenommen, als ich anfangs dachte. Nicht nur die Krankheit, sondern die Tatsache, daß so etwas ihm widerfahren konnte. Dieser untrügliche Beweis der Schwäche macht ihn zornig. Von seinem Arzt weiß ich, daß diese Reaktion häufig ist.«
    Traurig schüttelte Fritzi den Kopf. »Und Carl?«
    »Carl schreibt ungefähr so oft, wie im August Schnee fällt. Es ist auch besser so. Wenn ich genau wüßte, was er macht, könnte ich nicht mehr schlafen.«
    »Und Joey?«
    »Was soll ich sagen? Joey ist Joey. Immer derselbe.«
    »Ich habe Paul getroffen. Er hat mir ein Exemplar seines Buches geschenkt. Hast du’s schon gelesen?«
    »Ja, es ist wunderbar Wer hätte sich jemals träumen lassen, daß Pauli irgendwann auch noch Bücher schreiben würde?«
    Im Astor wurden sie von einem Hotelangestellten in die EinZimmer-Suite hinaufgeleitet. Fritzis Angebot, die Mutter bei sich aufzunehmen, hatte Ilsa freundlich, aber bestimmt abgelehnt. Wenn die Crowns verreisten, wohnten sie in noblen Hotels. Joe vertrat die Meinung, das habe er verdient.
    Mit Fritzis Hilfe machte sich Ilsa ans Auspacken. Sie hängten ihre Kleider auf Bügel, räumten Hüte und Schuhe in den Schrank. »Bist du müde, Mama? Möchtest du dich ausruhen?«
    »Nein. Ich würde zuerst gerne sehen, wie du wohnst. Voriges Jahr wolltest du es mir ja nicht zeigen.«
    »Wir hatten einfach keine Zeit. Um ehrlich zu sein, es ist nur ein Zimmer. Aber sehr hübsch«, fügte Fritzi hastig hinzu und verkehrte damit die Information fast ins Gegenteil. »Wir nehmen die Hochbahn. Sie ist billiger als ein Taxi und die Untergrundbahn, und alle fahren damit.«
    Im morgendlichen Gewühl machten sie sich auf den Weg. Alle Mitmenschen wirkten ausnahmslos mürrisch und gehetzt. Ilsa war außer Atem, als sie endlich eine überdachte schmiedeeiserne Treppe erreichten. Trotz Fritzis Einwand bezahlte sie die Fahrkarten. Ein Mann mit einer Metallkiste sammelte die Billetts ein, dann gingen sie durch den Damenwarteraum zum offenen Bahnsteig, umgeben von schlechtgekleideten New Yorkern, die Ilsa ständig vor die Füße traten. Sie war entsetzt über einen Mann, der einen Automaten mit den Fäusten bearbeitete, als handele es sich um einen Feind aus Fleisch und Blut.
    »Wo fährt die Hochbahn eigentlich genau hin?«
    »Downtown. Das ist die Second-Avenue-Linie, aber sie fährt unterhalb der Dreiundzwanzigsten Straße die First Avenue entlang. Sie kommt.«
    Ilsa und Fritzi bestiegen den weinroten Wagen, auf dem in goldenen Lettern der Name der Firma prangte: MANHATTAN. Ein Mann trat Ilsa auf den Fuß und schaffte es tatsächlich, sich vor ihr einen Platz zu sichern. Am liebsten hätte sie ihm ihre Handtasche auf den Kopf gehauen.
    Trotz der offenen Fenster herrschte im Waggon ein betäubender Geruch von Zwiebeln, Wurst, Knoblauch, Schweiß, billigem Parfüm und den Winden eines Fahrgastes. Ilsa hielt ihre Handtasche fest auf die Knie gepreßt, als erwarte sie, in der nächsten Sekunde überfallen zu werden. Der Zug schwankte und ratterte. Zum Glück war die Fahrt kurz. Als sie an ihrem Ziel die Treppe hinunterstiegen, ließ sie den Blick über die Straße gleiten, die durch Sonnenlicht und Schatten mit einem Gittermuster überzogen war.
    »In was für einer Gegend sind wir hier?«
    »In einer deutschen Gegend, Mama.«
    »Ich sehe aber niemanden, der deutsch aussieht. Ich sehe bloß Pfandleiher, eine Kneipe - viele Karren.« Einer dieser Karren, der bis oben mit traurigen Kohlköpfen beladen war, kam geradewegs auf sie zugefahren, aber Ilsa weigerte sich, auszuweichen. Der Mann hinter dem Karren lenkte zur Seite und rief: »Vorsicht, meine Dame!«
    »Eigentlich war es früher eine deutsche Gegend«, gestand Fritzi.
    »Die meisten Familien sind inzwischen nach Yorkville hinaufgezogen. Jetzt ist es ein gemischtes Viertel.«
    »So, gemischt? Wohl ein Gemisch aus Trinkern und Strolchen?« Einer übergab sich eben geräuschvoll in den Rinnstein. »Warum mußtest du dir in einem Haus ein Zimmer nehmen, an dem ständig Züge vorbeifahren?« Die Müdigkeit verlieh ihrer Stimme eine ungewöhnliche Schärfe. Ilsa kannte die

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