Fremde Federn
Dummköpfe, die deine Arbeit nicht zu schätzen wissen, auf der Schreibmaschine tippen? Das sind doch keine Beschäftigungen für eine junge Frau mit deiner Intelligenz.«
Mit einem merkwürdigen, flackernden Blick sagte Fritzi: »Ich habe von einer Stelle am Theater gehört, die ziemlich gut bezahlt ist.«
»Das klingt aber nicht begeistert.«
»Bin ich auch nicht. Aber es ist Arbeit. Ich erwäge ernsthaft, mich zu bewerben. Aber mehr möchte ich im Moment noch nicht sagen. Wollen wir den Nachtisch bestellen?«
Im Verlauf des viertägigen Besuches wurde Fritzi von ihrer Mutter neu eingekleidet. Ilsa kaufte ihr auch ein Paar Lacklederpumps, ein Paar Überschuhe, mehrere hübsche Muschelkämme für das nicht zu bändigende Haar, ein neues Plätteisen und eine kleine Topfpalme, um ihr Zimmer ein bißchen freundlicher zu machen. Im Laden Roger Peet erstand sie ein geschmackvoll kariertes Madrashemd für Joe. Daß er es allerdings tragen würde, konnte sie sich nicht vorstellen.
Fritzi begleitete Ilsa zur Grand Central Station. Hand in Hand gingen sie auf dem riesigen roten Teppich des Limited entlang. Fritzi hatte jeden Tag von morgens bis abends mit ihrer Mutter verbracht. Was das auch für eine neue schauspielerische Arbeit sein mochte, viel Zeit schien sie dafür nicht aufwenden zu müssen. Fritzi hatte übrigens auch kein Wort mehr darüber verloren.
Auf dem lauten Bahnsteig kam Ilsa noch einmal auf ihr Gespräch bei Lüchow’s zurück. »Ich wünschte, du würdest nach Hause kommen.«
»Wozu? Um mit Amateuren Theater zu spielen und mich als ehrenamtliche Helferin nützlich zu machen? Nein!«
»Warum bist du so unnachgiebig? Deinem Vater zum Trotz?«
Das Aufblitzen in Fritzis braunen Augen verriet Ilsa, daß sie tatsächlich einen Nerv getroffen hatte. »Ich möchte beweisen, daß er unrecht hatte. Daß ich Erfolg haben kann.«
»Und was ist, wenn es diesmal auch danebengeht? Willst du immer so weitermachen, bis du alt und grau bist?«
»Diesmal werde ich Erfolg haben, Mama.«
»Warum sagst du mir nicht, worum es sich handelt?«
»Dazu ist später noch Zeit.«
»Fritzi! Es ist doch nichts, wofür du dich schämen müßtest, oder?«
»Nein, Mama«, versicherte sie hastig. Ilsa fand, ein wenig zu hastig. Sie bemühte sich nach Kräften, ihre Bestürzung und ihre Sorge zu verbergen sowie das beschämende Gefühl, bei dieser Hilfsaktion versagt zu haben.
Die Schaffner forderten zum Einsteigen auf. Die riesige schwarze Lokomotive fauchte wie ein ungeduldiges Pferd. Ilsa schlang die Arme um Fritzi. Während sie sich umarmten, versteckte ihre rechte Hand fünfzig Dollar in kleinen Scheinen in Fritzis linker Jackentasche.
In einem atemberaubenden herbstlichen Dämmerlicht schlängelte sich der Twentieth Century Limited entlang des Hudson River Richtung Norden. Die Palisaden schimmerten gelb und scharlachrot. Ein kleiner Dampfer tuckerte flußabwärts, weiß wie der Zuckerguß eines Hochzeitskuchens. Ilsa bemerkte nichts von all der Schönheit, sie sah nur Fritzis Gesicht vor sich. Still saß sie da, die Ellbogen auf der Fensterbank, das Kinn in die Hände gestützt; ihre Wangen waren tränenüberströmt.
35. BIOGRAPH
Fritzi entdeckte Ilsas fünfzig Dollar erst am Abend. Sie war überwältigt und gerührt. Ein paar Dollar in der Sparbüchse konnten sie vor dem Verhungern bewahren.
Aber dieses Geschenk änderte nichts an der Notwendigkeit, ernsthaft über die Zukunft nachzudenken beziehungsweise entschiedene Schritte in diese Richtung zu tun. Im Laufe der nächsten Woche rief sie mehrmals im Studio von Biograph an und hinterließ ihre Adresse. Am Sonntag abend saß sie in ihrem Zimmer und blätterte die verschiedenen Ausgaben der Times und Tribune durch, die andere Mieter weggeworfen hatten. Durch die Decke drang die PhonographStimme von Carrie Jacobs Bond, die The End of a Perfect Day, sang, ein schönes Lied, allerdings nicht, wenn es zwanzigmal hintereinander gespielt wurde. Es klopfte an der Tür.
»Ich bin’s, Mrs. Perella. Da ist ein Gentleman für Sie am Apparat.«
»Danke Ihnen für Ihren Anruf, Mr. Bitzer«, sagte Fritzi, als sie endlich die Hörmuschel in der Hand hielt. »Ich hätte nie gedacht, daß Sie am Sonntag arbeiten!«
»Wir arbeiten sieben Tage die Woche. Letzte Woche ging’s höllisch zu. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte auf Ihr freundliches Angebot zurückkommen. Bei unserer letzten Begegnung, ich weiß, meine Bemerkung über Filme war sehr unhöflich ...«
»Ach was,
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