Fremde Federn
das ist mir nichts Neues. Schwamm drüber! Ich mache Sie gerne mit unserem Starregisseur Mr. Griffith bekannt. Er war auch Schauspieler. Vor ein paar Monaten hat er seinen ersten Streifen gedreht, und wir haben fünfundzwanzig Kopien davon verkauft. Bis dahin hatten wir immer höchstens fünfzehn verkauft. Jetzt kann er gar nicht schnell genug drehen.«
»Wann soll ich kommen?«
»Morgen früh, halb sieben. Fragen Sie nach Griffith. Ich arrangie-re alles. Ein kleiner Tip noch. Keine herablassenden Bemerkungen über Filme ihm gegenüber, sonst sind Sie schneller wieder draußen, als Sie drin waren. Griffith möchte Leute, die das Geschäft ernst nehmen. Für ihn ist es eine neue Kunstform.«
Der Morgen dämmerte über dem East River herauf, als Fritzi mit einer Pappendeckelmappe mit Programmen und Kritiken in der Hand, die Vierzehnte Straße Ost entlangeilte. Sie hatte eine MacbethKritik beigelegt, dazu eine Liste mit den Namen der Schauspieler, und konnte nur hoffen, daß die Kritik nicht ins Gewicht fiel. Sie war seit fünf Uhr auf den Beinen, hatte ihren Rock geplättet und einen Suppenfleck aus ihrer Bluse gewaschen.
Die Straße war voller Unrat. Der Westwind trieb Fritzi förmlich voran, aber er blies auch dicke schwarze Wolken herbei. Wie immer vor einem wichtigen Vorstellungsgespräch war sie auch jetzt furchtbar nervös. Fast wäre sie über einen verwahrlosten Köter gestolpert, der sein Bein unter einem Milchwagen hervorstreckte.
Ihr Ziel, Haus Nummer elf, war ein fünfstöckiges Backsteingebäude. Als sie darauf zuschritt, starrten gleichzeitig vier dieser Möchtegernschauspieler auf sie herunter, die im kalten Morgenlicht auf der offenen Veranda standen. Ihre Gesichter zeigten sowohl milde Neugierde, wie das eines hübschen Negerjungen in geflickten Hosen, wie auch kriegerische Feindseligkeit, wie das einer hartgesotten aussehenden Rothaarigen. In reichverzierten Goldbuchstaben stand auf einem Schild zur Rechten der hohen Veranda zu lesen:
THE AMERICAN MUTOSCOPE & BIOGRAPH COMPANY
Die Rothaarige schnauzte sie an. »Sie warten besser draußen, Schwester, bis man Sie ruft.«
Fritzi verzichtete auf vornehme Zurückhaltung und schnappte scharf zurück: »Oh, ich danke Ihnen, ich dachte schon, das hier wäre die neue Trambahnhaltestelle.« Der Junge kicherte.
Sie trat zur Seite, um den Männern und Frauen Platz zu machen, die mit Zeitungen, Lunchpaketen und Schminkutensilien nach drinnen drängten. Ein junger Bursche, der wie ein irischer Stahlarbeiter aussah, sagte im Vorbeigehen zu einem der anderen Männer: »Ist mir egal, was der Chef sagt, für mich sind Bullen komisch.« Er zwinkerte Fritzi zu, legte den Finger an die Mütze und sprang die Stufen hoch.
Zwei junge Frauen - beide mit wunderschönem blonden Haar, offensichtlich Schwestern - folgten ihm. Die robustere wandte sich mit einem »Guten Morgen« an die Wartenden, die zarte wünschte ihnen »viel Glück«.
In dem Augenblick, als alle durch die Tür verschwunden waren und Fritzi sich anschickte, ihnen zu folgen, trat ein Mann in einem dicken Sportpullover heraus. Er blickte auf seinen Notizblock, dann musterte er die Schauspieler. Zur Rothaarigen sagte er: »Nichts dabei heute.« Das gleiche erklärte er den beiden Männern und dem Jungen. Schließlich musterte er Fritzi von oben bis unten. »Sie sind neu.«
»Ja, Sir, ich .«
»Für Sie ist auch nichts dabei.«
»Ich habe einen Termin bei Mr. Griffith. Mr. Bitzer hat den Termin für mich vereinbart.«
Trotz des mißtrauischen Blicks, mit dem er sie bedachte, sagte er: »Okay, kommen Sie rein. Der Chef ist sehr beschäftigt, aber er sieht sich immer gern neue Mädchen an. Folgen Sie mir!«
Mit einem kleinen, trotzigen Lächeln stieg sie hinter ihm die Stufen hinauf. In diesem Moment entschloß sich Ellen Terry, eine ihrer Ansichten kundzutun: Bewegte Bilder? Eine Schande! Das kann nichts Gutes werden.
Schon möglich. Trotzdem folgte Fritzi dem Mann hocherhobenen Hauptes in das Haus.
Als sie hinter dem Mann das Studio von Biograph betrat, wußte sie nach einem Blick, daß dies das seltsamste, lauteste und schmuddeligste Haus war, das sie je gesehen hatte. Von den mit Wasserflecken übersäten gelben Wänden blätterte der Putz. Es stank nach Farbe und Zigarren. Weiter oben wurde gehämmert und gesägt.
Sie stiegen bis in den zweiten Stock hinauf; dort war der Lärm noch schlimmer. Der Mann deutete auf eine Bank. »Warten Sie hier. Nicht reingehen, das ist die Hauptbühne.« Aber
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