Fremde Federn
zerknitterten Brief aus der Innentasche seines zu kleinen Wollmantels. »Hat Mr. Crutchfield, mein Chef im Soho Strand, ausgestellt.«
»Das ist ein Filmtheater, stimmt’s?«
»Ja, Sir, und ein gutes noch dazu. Es ist in der Deane Street.«
»Noch andere?«
Einen Augenblick lang flackerten Sammys strahlende dunkle Augen seltsam unsicher. »Na ja, Chef, eigentlich nisch’, außer Sie fragen den Kerkermeister in Brixton.«
Paul lehnte sich auf seinem quietschenden Drehstuhl zurück. »Soll das heißen, daß Sie hinter Gittern waren?«
»Genau, Sir. Wegen einem Bagatelldiebstahl. Meine Schwester Belle hat nischts zu essen gehabt.« Er sagte »nischts«; selbst Henry Hig-gins hätte sich schwergetan, Sammys gräßlichen Dialekt zu korrigieren. Paul nahm an, daß er aus dem East End oder einer ähnlichen Gegend stammte.
»Hab’ nur ’n paar Laib’ Brot für Belle gestohl’n«, erklärte Sammy. »Aber sie ham mich erwischt. Ich dachte, wenn Se mich anstelln, find’n Se’s eines Tages raus, also sag’ ich’s gleich und spar’ uns Zeit.«
»Sehr rücksichtsvoll«, murmelte Paul, während er überlegte, was er von diesem ziemlich durchtrieben wirkenden jungen Mann halten sollte. »Wann waren Sie eingesperrt?«
»Na ja, also« - Miss Epsom klopfte an die Tür und trat mit einem Tablett herein - »ich hab’ meine Zeit vor vierzehn Monaten abgesessen. Aufgewachsen bin ich im Hafenviertel, hauptsächlich auf der Straße.« Paul verstand nur zu gut; auch er war ein Berliner Straßenjunge gewesen.
»Als ich aus’m Knast raus war, hab’ ich mir geschworen, daß ich in dieses Loch oder in irgend’n andres nisch’ wieder reingeh’ und mir lieber ehrliche Arbeit besorg’. Hab’ mir schon immer gern laufende Bilder angeguckt, natürlich nur, wenn ich Zaster hatte, deshalb bin ich gleich reingelatscht, als ich den Zettel am Soho Strand gesehen hab’, wo ein Kameraassistent gesucht wird. War ’n Typ vor mir da, aber der hatte beim Warten ’nen kleinen Unfall.«
»Einen kleinen Unfall«, murmelte Paul. »Na so was!« Er goß sich heißen Earl Grey aus der Kanne ein. Zu seiner Überraschung bat Sammy Silverstone um eine Tasse Tee und zwar mit Milch und Zucker.
»Iss hingefallen und hat sich den Knöchel verstaucht, der arme Kerl. Mußte gleich heimgehen. Ist wahrscheinlich gestolpert. Über was, weiß ich nisch’.« Paul gab sich Mühe, ein ernstes Gesicht zu machen. »Mr. Crutchfield hat mich eingestellt. Ich hab’ ihm vom Knast erzählt. Seit damals bin ich im Strand. Ich besser’ schlechte Klebestellen und ausgerissene Perforationslöcher aus, hänge Plakate auf, mache sauber, und wenn der Vorführer nisch’ da ist, bedien’ ich den Projektor - harte Arbeit, aber mir macht’s Spaß.«
»Und warum wollen Sie dort weg?«
»Weil ich bei Ihnen weiterkomme. Assistent bei jemandem, der Filme macht. Einem Typen, der ’n Buch geschrieben hat.«
»Sie haben es gelesen?«
Sammy schob seine Zunge hinter die Oberlippe, man sah deutlich, daß er zu lügen erwog. Aber dann erwiderte er:
»Eigentlich nisch’. Muß zugeben, daß ich nisch’ viel lese. Aber Mr. Crutchfield hat eins und sagt, es wär’ gut, Sie kommen ganz schön viel rum und immer in interessante Orte. Das würd’ mir auch gefallen.«
Samuel Garfunkel Silverstones freche Aufrichtigkeit gefiel Paul. »Ich breche in knapp einem Monat auf, um die Heeresmanöver in Deutschland zu filmen. Wie bald könnten Sie anfangen?«
Grinsend meinte Sammy: »Is’ sofort bald genug, Chef?«
Paul holte tief Luft und ließ die Karteikarte in den überquellenden Korb auf dem Schreibtisch fallen.
»Also gut, dann müssen wir nur noch über Ihren Lohn sprechen.«
Ein Strahlen, heller als die elektrischen Lichter am Piccadilly Circus, ging über Sammys Gesicht. »Sie werd’n ’s nisch’ bereuen. Ich kann doppelt soviel tragen, wie ich wiege, bin ’n richtiger Packesel.«
»Sie werden ausreichend Gelegenheit haben, Ihre Kraft zu beweisen.«
42. ERSTE ERFOLGE
Zu ihrem Verdruß stellte Fritzi fest, daß sie sich auf jeden neuen Film freute, und bedauerte, wenn nicht einer unmittelbar auf den anderen folgte. Es war weniger die Kunst, die ihr so gefiel, denn bei einem Einspuler konnte man wahrlich nicht von Kunst sprechen. Es war vielmehr die Gesellschaft ihrer Kollegen. Sie mochte Eddie, seine Frau Rita und deren beider Kinder. Sie mochte Nell Spooner, auch wenn sie das nach Meinung der anderen Weißen nicht hätte sollen, und auf Griffith’ Rat hin
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