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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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es bis an die Spitze schaffen, vor allem wenn das Lied ein Hit wurde. Wenn er am Broadway gefragt war, wenn er erst einmal komplette Partituren schrieb, dann war auch bald sein nächstes Ziel nahe: der eigene Musikverlag.

Harry haßte die Unerfreulichkeiten des Musikgeschäfts: Komponisten, die anderer Leute Melodien klauten, Künstler, die bestochen werden wollten, um eine Nummer zu bringen, Verleger, die Tantiemenaufstellungen zu ihren Gunsten frisierten. Aber wenn er von seinem eigenen Verlag träumte, war das alles vergessen. Er hatte schon einen wunderbaren Namen dafür: Homeland Music. Das Symbol war, wie hätte es anders sein können, ein wehendes Sternenbanner. Etwas anderes kam für ihn nicht in Frage.
    »Wilbur, paß auf den Mann auf!«
    Der Aufschrei der Mutter riß ihn aus seinen Tagträumen. Der sechsjährige Junge war so mit seinem Spielzeug beschäftigt, daß er mit Harry zusammenstieß.
    »Ganz meine Schuld, gnädige Frau«, entschuldigte Harry sich und zog den Hut. Es war ihm egal, daß der kleine Junge häßlich und boshaft wie eine Kröte war, an diesem Tag der unbegrenzten Möglichkeiten war er bereit, fast jede Sünde zu verzeihen. Plötzlich fiel sein Blick auf das Spielzeug, das der Junge in seinen schmutzigen Händen hielt. Ein kleiner grauer Blechelefant mit aufgemalten weißen Stoßzähnen. Auf dem Papier war Harry Jude, aber er kannte das Neue Testament und die Vision des heiligen Paulus auf dem Weg nach Damaskus.
    »Gnädige Frau, darf ich Ihnen dieses Spielzeug für einen Dollar abkaufen?« Er getraute sich kaum zu atmen vor Erregung.
    »Aber das ist doch nicht einmal ein Fünftel ...« antwortete die Frau verblüfft.
    »Ich bestehe darauf.« Der habgierige kleine Wilbur nahm die Münze gern. Harry schob den Blechelefanten in die Tasche und lief zu seinem Büro, wobei er sich den ganzen Weg wie ein FootballSpieler zwischen den Fußgängern hindurchschlängelte. Kaum angekommen, warf er seinen Bowler in die Ecke und schlug den Klavierdeckel zurück. Um fünf Uhr hatte er The Elephant Rag geschrieben. In dieser kurzen Zeit hatte er sogar Fritzi vergessen.
    Oh, the trunk will wag
    Like a jungle flag When the pachyderm does The elephant rag.
    All join in and (stomp foot)
    Do the elephant rag.
    Flo Ziegfeld war vollkommen aus dem Häuschen. Die Mischung aus der einschmeichelnden Melodie und dem albernen Text über einen tanzenden Dickhäuter ließ die Zuschauer der Follies wie ein Mann aufspringen und vor Freude gröhlen, wenn alle vierundvierzig Mädchen in künstlichem Sturm und Regen mit einem einzigen donnernden Stampfer auf dem Bühnenboden landeten. Ein acht Fuß großer Elefant, in dem zwei Männern steckten, tanzte im Schlußsatz mit.
    Die Verkaufszahlen von The Elephant Rag schnellten raketenartig in die Höhe, selbst in England und auf dem europäischen Festland riß man sich um den Song. Das Lied und der stampfende Tanz waren der letzte Schrei. Jung und alt stampfte in Schulhöfen, in Trambahnen, ja sogar in Kirchen, wenn der Chorleiter gerade nicht hinschaute. Die korrekten Engländer und die schwerfälligen Deutschen stampften. Die leichtfertigen Franzosen und die leidenschaftlichen Spanier stampften. Schließlich hieß es, daß selbst die Zulus in Afrika stampften.
    Jede Zeitung vom Herald bis zur Police Gazette schickte Reporter ins Hotel Mandrake, um den Mann zu interviewen, der die Welt zum Stampfen gebracht hatte. Ein Kollege drückte seine Bewunderung mit einfachen Worten aus:
    »Harry, du bist ein gottverdammtes Genie.«
41. SAMMY
    Auf der anderen Seite des Ozeans, in London, ging die Sonne unbemerkt hinter einem dichten Regenschleier auf. Paul, von seinem schwarzen Schirm nur dürftig geschützt, war zu Fuß vom Leicester Square in die St. Martin’s Lane unterwegs. Er bog in den dunklen und schmalen Cecil Court ein, wo mehrere Filmfirmen, darunter Pathé Frères und American Luxograph, Büros unterhielten.
    Er wich einem Regenschwall aus, der vom Vordach des Gebäudes herabstürzte, schüttelte sich wie ein nasser Hund und rannte die Treppe hinauf. Er war eine halbe Stunde länger zu Hause geblieben, um das Kindermädchen einzuweisen und an Julies Bett zu sitzen und ihre Hand zu halten. Er sorgte sich. Keine von Julies Schwangerschaften und Geburten war leicht für sie gewesen. Jetzt sah sie aus wie eine Tonne; die Niederkunft war nicht mehr weit, Julie mußte fast den ganzen Tag liegen. Immer wieder behauptete sie, es gehe ihr gut und sie sei durchaus imstande, für

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