Fremde Federn
Blitzen vorbeischoß, hätte man meinen können, es explodiere eine Bombe. Die Menge schrie und kreischte. Der Wagen verschwand im Süden und kam schon wieder in einer Rauchwolke zurück, während der Zielrichter fast hysterisch den offiziellen neuen Rekord hinausschrie - 133,4 Meilen.
Ölverschmiert und grinsend gab Barney fast eine Stunde lang Autogramme. Als die Sonne schließlich unterging, erkundigte er sich nach dem nächstgelegenen Saloon oder Wirtshaus.
Zwei Stunden später schaffte Will Pickens ihn mit eingeschlagenem Schädel und blutüberströmt ins Hospital. Carl blieb in der Bar, in der die Schlägerei stattgefunden hatte, und trank weiter.
Jetzt war es dunkel. Carls Kopf dröhnte. Er spürte einen sauren Geschmack auf der Zunge. Er beobachtete, wie eine Fliege über die hartgekochten Eier krabbelte, die auf der Theke auf einem Teller vor sich hin gammelten, während der Schwarze den Scherbenhaufen Zentimeter um Zentimeter weiterfegte. Carl konnte die Wahrheit nicht mehr länger ignorieren. Der Traum, dem er nach Indianapolis gefolgt war, verblaßte.
Er hörte, wie auf der Strandseite die Tür ging, aber er drehte sich nicht um; es interessierte ihn nicht, wer hereinkam.
Die Überraschung auf dem Gesicht des Barkeepers änderte seine Haltung. Er drehte sich langsam um, seine Glieder waren schwer und müde. Der Mond stand voll am Himmel und warf einen leuchtenden Schimmer auf das durch die Tür sichtbare Meer. Eine Frau trat an die Bar. Er erkannte sie am Geruch, noch bevor er sie sah. Das Parfüm, das sie benutzte, erinnerte ihn an Maiglöckchen. Seine Mutter hatte das gleiche benutzt. Er schaute genauer hin.
»Bess.«
»Ich habe gehofft, daß du noch dasein würdest.« Barneys Frau vermied es, Carl direkt anzusehen, als sie ihre Tasche auf die Theke legte. Ihr weißes Spitzenkleid, das am Nachmittag noch frisch gestärkt und hübsch gewesen war, war jetzt zerknittert und unter den Brüsten von Schweiß durchnäßt. An den Barkeeper gewandt, sagte sie: »Geben Sie mir einen Whiskey. Lassen Sie die Flasche stehen. Und dann lassen Sie uns allein.«
Mit einem Zucken um die Mundwinkel, das auch ein Schmunzeln hätte sein können, stellte der Barkeeper die Flasche und ein Glas auf die Theke, dann verschwand er in einem Hinterzimmer. An den Schwarzen gewandt, sagte Bess: »Lassen Sie jetzt diesen verdammten Besen stehen, und machen Sie lieber etwas Luft.« Der Mann grapschte sich einen Stuhl und griff nach einer herunterbaumelnden Schnur, die drei herzförmige Palmenfächer bewegte. Er ließ sich auf dem Stuhl nieder und schwang die Schnur hin und her, wodurch sich die Fächer bewegten und etwas Luft aufwirbelten.
»Wie geht es Barney?« erkundigte sich Carl.
»Der Doktor hat zwei Stunden gebraucht, um ihn notdürftig zusammenzuflicken, und er war noch nicht fertig, als ich ging. Er wird durchkommen. Barney hat einen harten Schädel. Das kommt daher, weil nichts drin ist.«
Das war die Seite von Bess, die das Publikum und die Presse nie zu Gesicht bekam. Wenn sie während der Interviews an Barneys Arm hing, gab sie sich aufregend, liebevoll und bewunderte ihn. Bess war eine sinnliche, schöne Frau von großer Leidensfähigkeit.
»Er wird so gut wie neu sein, wenn die Sonne aufgeht«, meinte sie verächtlich. Sie kippte ihren Whiskey hinunter, goß sich einen zweiten ein und kippte auch den.
»Ich weiß wirklich nicht, wie er das schafft«, sagte Carl. »Du hast recht, er setzt sich mit verbundenem Kopf ans Steuer und fährt wie der Teufel, wenn er Lust hat. Ich kann nicht soviel trinken.«
»Hat aber heute den Anschein, als könntest du’s.«
»Na ja, klar, Barney schafft einen irgendwie.«
»Erzähl mir lieber was, was ich noch nicht weiß.«
Sie schenkte nach. Die Fächer quietschten. Die Brandung des Atlantiks murmelte verführerisch; das Meer schien im Mondlicht bis hinüber nach Europa zu funkeln. Carl rieb sich die Augen, aber sein Blick blieb trüb.
Bess’ blasse, weiche Hand lag auf seinem Arm. Er hatte weder gesehen noch gespürt, daß sie sich dort hingelegt hatte.
»Carl, ich schulde Barney nichts. Er hat mich zigtausend Mal betrogen. Wenn man’s genau nimmt, ist er auch nicht sehr originell. Ein dummer Hinterwäldler, der zu schnell das große Geld gemacht hat und nicht weiß, wie er damit zurechtkommen soll. Ein flotter Rennwagen, aber man hat vergessen, ihm Bremsen einzubauen. Du, du bist anders.« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und vergewisserte sich, daß der
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