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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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knapp gewesen.
    Carl zog den Steuerknüppel zurück. Das Flugzeug gewann sogleich an Höhe, jedoch nicht schnell genug, um den dunklen grauen Regenwolken zu entgehen, die ihn augenblicklich bis auf die Haut durchnäßten und seine Brille verschleierten. Fast ebenso schnell, wie sie gekommen waren, hatte er sie durchflogen und befand sich nun unter einem wolkigen blauen Himmel. Riesige Lichtsäulen fielen auf das Land. Er sah einen Bauer, der hinter einem von Ochsen gezogenen Holzpflug herging. Der Mann nahm seinen Strohhut ab und blickte zu Carl empor, ob erstaunt oder verängstigt, konnte Carl nicht ausmachen.
    Er flog über Felder, auf denen Bohnen und Mais wuchsen, über casitas, kleine Hütten mit Wänden aus Stroh und Giebeldächern, gedeckt mit Schilf. Er flog über einen Markt, tief genug, um die aufgetürmten Kürbisse und Melonen zu erkennen, die zusammengeflochtenen Pfefferschoten, die Körbe mit roten und gelben Tomaten. Truthähne stolzierten in den Gäßchen zwischen den Ständen auf und ab. Händler und einkaufende Frauen hoben die Hände vor die Augen, um das Flugzeug zu sehen, aber nur ein Kind, ein kleines Mädchen, winkte ihm. Wenn ein Flugzeug aus dem Süden kam, mußte es sich um ein Regierungsflugzeug handeln.
    Vor zwanzig oder dreißig Kilometern hatte er die letzten Zigaretten und Orangen aus dem an seinen Sitz gebundenen Jutesack abgeworfen. Die meisten Orangen bekamen Kinder, die ihm von einem Brunnen in dem Dorf Ojocaliente aus zugerufen und gewunken hatten. Da die Indianer und Mestizen auf dem Land die Revolution im Grunde begrüßten, konnte es nicht verkehrt sein, ihnen hin und wieder etwas Gutes aus einem Spionageflugzeug zukommen zu lassen, nicht zuletzt deshalb, weil Geschenke die beste Lebensversicherung waren, falls der Motor den Geist aufgeben oder die Maschine abgeschossen würde. Carls einziger Schutz bestand aus einem Revolver in einem Halfter an seiner Hüfte.
    Er flog über die Stadt, über den großen Platz, dessen schönstes Gebäude eine rote Barockkirche mit gelber Einfassung war. Die Landbevölkerung liebte ihre farbenfrohen Kirchen. Carl freute sich an dem Anblick. Eigentlich mochte er Mexiko und die Mexikaner, freundliche, warmherzige Menschen, vorausgesetzt, man stand auf der richtigen Seite. Nicht einmal die Deutschen wuschen ihre Kleider so häufig wie mexikanische Hausfrauen.
    In weiter Ferne öffnete sich ein weißes Auge. Eine Lokomotive fuhr mit eingeschalteten Scheinwerfern um eine Kurve. Ein Militärzug. Näher als erwartet.
    Er sah die Scheinwerfer größer und heller werden. Der Zweck seiner Mission: Er sollte erkunden, wie weit der Tiger des Nordens auf seinem Marsch in die Hauptstadt schon vorgedrungen war. Während des ganzen Frühjahrs 1914 waren die Federalistas zurückgewichen, eine Stadt nach der anderen war gefallen - Gomez Placia, der Eisenbahnknotenpunkt bei Torreón, Tampico an der Küste. Am vierundzwanzigsten Juni nahmen die Rebellen Zacatecas, vier Tage vor der Ermordung eines österreichischen Erzherzogs namens Ferdinand auf dem fernen Balkan.
    Trotz der Erfolge der Rebellen hatte sich General Villa in jüngster Zeit mit seinem Titularkommandanten Carranza überworfen. Villa war im Norden untergetaucht, angeblich, um Kohlen und Vorräte zu beschaffen. Das Kommando führten gegenwärtig seine Untergebenen, sie drängten nach Süden vor, wenngleich mit weniger Nachdruck als zuvor. Manchmal rückten die Rebellen fünfzig Kilometer vor, dann zogen sie die Reiterei und den Nachschub auf Schienen wieder zurück, nur um wenige Tage später erneut vorzurücken. Die Federalistas mußten auf der Hut sein. Piloten wie Carl waren ihre Augen.
    Er putzte seine Brille. Die Bleriot ließ sich mühelos einhändig fliegen. Die Vor- und Rückwärtsbewegung des Steuerknüppels kontrollierte den Ab- und Anstieg, die Links- und Rechtsbewegung, die Verwindung der Flügel und das Höhenruder, und über die Fußpedale bewegten sich die Seitenruder.
    Er reckte die Schultern, um die Steifheit abzuschütteln, und ging auf fünfhundert Fuß hinunter. Durch einen kleinen Feldstecher erkannte er mehrere natürliche Markierungspunkte, die er sich für seinen Bericht einprägte. Eine Rauchfahne stieg hinter dem sich nähernden Zug in die Luft und mischte sich mit dem Qualm aus den Kohletöpfen, der noch schwärzer war. Auf den Dächern der Güterwaggons des langsam fahrenden Zuges waren Soldaten, Frauen und Kinder damit beschäftigt, Essen zuzubereiten. Einige hielten eine

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