Fremde Federn
Entsetzen zugeschnürter Kehle.
In einer von den Federalistas besetzten Stadt in Sonora trafen sie sich und testeten die Martin. Von dort ging es in kurzen Abschnitten weiter, bis sie Ende Januar ihre Basisstation in der Mitte Mexikos erreichten. Als Söldner wurden sie gut behandelt, sie erhielten den
Ehrentitel Capitan und einen Grundlohn von dreihundert Dollar im Monat, weitere fünfzig Dollar für jeden Erkundungs- oder Nachrichtenflug. Wie sie bald herausfinden sollten, war die Regierung mit den Zahlungen jedoch immer im Verzug.
Sie reisten in einem Sonderzug, der sich ständig nach Süden vorzuarbeiten schien. Drei Flachwagen transportierten die Flugzeuge sowie die beweglichen Laderampen. Zwei von Offizieren gefahrene Benz-Tourenwagen fuhren auf einem vierten mit. Ein umgebauter Güterwaggon diente als Werkstatt, ein anderer als Laderaum für Luftbomben. Der Zug war die Kopie jenes Zuges, mit dem Villa auf der nördlichen Linie fuhr.
Die drei Piloten und Tom waren in einem privaten Eisenbahnwaggon untergebracht, den man entweder einem texanischen Rinderbaron abgekauft oder gestohlen hatte. Er verfügte über Betten, im Boden verankerte rote Plüschsessel, einen Mahagonitisch, Stühle und eine separate Küche mit einem Eisbehälter ohne Eis. Außergewöhnliche Stierhörner zierten die vordere Außenwand.
Versorgt wurden sie von einem zerlumpten, dürren Burschen, einem braunen Indianerjungen von circa vierzehn Jahren, dessen unaussprechlicher Name in Bert umgewandelt wurde. Bert war von zu Hause in Yucatan weggelaufen, nachdem sein Vater von einem hundert Fuß hohen Gummibaum gestürzt war, den er aufgeschlitzt hatte, um den Saft aufzufangen, aus dem Kaugummi gemacht wurde.
»Es ist eine schreckliche Arbeit«, sagte Bert mit einem traurigen Kopfschütteln zu Carl. »Hoch oben, nur mit einem Seil befestigt, und dann muß man mit aller Kraft die Machete schwingen, um ein Loch in den Baum zu hauen. Mein Vater hat statt des Baums das Seil getroffen. Er starb. Meine Mutter wollte, daß ich an seiner Stelle arbeite; als ich nein sagte, hat sie mich geschlagen, und deshalb bin ich weggelaufen. Jetzt bin ich viel glücklicher. Schmeckt Ihnen mein Essen, Capitan Carl?«
»Das Brot, das du bäckst, ist immer schwarz, und deine Rühreier sind wie Gummi, aber sonst ist alles wunderbar.«
»Dieser Harvard, er mag mich nicht und mein Essen auch nicht.«
»Nimm’s nicht tragisch. Er mag niemanden.«
Bei gutem Wetter und wenn der Zug stand, schlief Bert unter dem Eisenbahnwaggon, wenn der Zug fuhr oder wenn es regnete, im Ver-bindungsgang zwischen den Waggons. Er hatte ein Tier, eine drei Fuß lange Hakennatter mit einem Maul wie eine kleine Schaufel. Bert nannte sie Anselmo. Er hielt sie in einer Schachtel, ließ sie aber gelegentlich heraus, damit sie nach Kröten graben konnte, ihrer Lieblingsspeise.
»Anselmo kann auch Ratten fangen. Ihnen tut er nichts. Hat Angst vor Menschen. Wenn er einen sieht, zischt er nur und stellt sich tot.«
Carl flog fünfhundert Fuß über den staubigen Vorbergen der Sierra Madre Oriental in Mexiko. Auf Drängen von Major Ruiz, dem Verbindungsoffizier, der ihrer Einheit zugeteilt war, hatte er eine alte geologische Karte in die Tasche seiner Pilotenjacke gestopft. Für die Navigation war sie nutzlos; er folgte der Haupteisenbahnlinie, die sich nach Norden schlängelte bis nach Zacatecas, einer Stadt, die sich in der Hand der Rebellen befand. Das Flugzeug war eine Bleriot, eine von den vielen, die nach den Plänen des Modells XI gebaut wurden, in dem Bleriot 1909 als erster den englischen Kanal überquert hatte.
Carl saß mit zerzaustem Haar im offenen Sitz über dem Flügel des kleinen Eindeckers; der rote Seidenschal flatterte im Wind, die Fahrbrille blitzte durch die Reflexe der fernen Lichter. Weit zu seiner Linken ragten die Berge wie Zacken in den Himmel.
Die Gefahren dieses Unternehmens waren nicht zu unterschätzen. Der Kriegsfeind war nur eine davon. In den Zentralprovinzen gab es keinen Flugplatz, kein Bodenpersonal, nicht einmal fähige Mechaniker. Der von der Regierung bereitgestellte Treibstoff war von schlechter Qualität und führte mitunter zu Aussetzern oder gar Abstürzen. Während eines Erkundungsfluges über Gömez Palacia, vor der Eroberung durch die Rebellen, hatte Renés Motor ausgesetzt, so daß er auf einer unbefestigten Straße notlanden mußte. Belagernde Federalistas konnten gerade so viel Treibstoff auftreiben, daß er wieder starten konnte, aber es war
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