Fremde Federn
lauter Stimme, »Sie haben der Ersten Armee des Generals von Kluck Hindernisse in den Weg gelegt. Ich spreche von den gefällten Bäumen und dem ausgebrannten Panhard-Auto.« Er sprach ausgezeichnet Französisch.
»Dieser Widerstand kann nicht hingenommen werden, ich denke, Sie verstehen das. Wir haben unsere Befehle. Haben Sie noch etwas zu sagen, bevor wir diese Anweisung ausführen?«
Ein Mann spuckte auf die Erde. Eine junge Frau fiel weinend auf die Knie. »Ersparen Sie mir das Theater«, herrschte der Unteroffizier sie an. »Sie könnten Ihre verdiente Strafe wenigstens erhobenen Hauptes entgegennehmen.«
Paul schob die Kamera an das Fenster im Heuboden, überprüfte die Belichtungszeit, vergewisserte sich, daß sowohl die Deutschen als auch die Belgier im Bild waren. Er fing an zu kurbeln, zuckte aber zusammen bei dem krächzenden Geräusch. Konnte man ihn in dieser Stille hören, in der es nur das Gezwitscher der Vögel und das ferne Brummen eines Motors auf einer entfernten Straße gab?
Der Unteroffizier klopfte mit seiner Zigarette auf ein Metalletui. »Feldwebel, exekutieren Sie.«
Der Feldwebel erteilte die Befehle. Die Soldaten hoben ihre Gewehre. »Nein, nein, doch nicht so!« herrschte der Unteroffizier sie an. »Wir wollen eine härtere Lektion. Bajonette!«
Die kniende Frau sank ohnmächtig zu Boden. Ein Bauer mittleren Alters in Stiefeln und Kittel legte den Arm um seine Frau. Die Soldaten warfen einander zögernde Blicke zu. »Rasch, rasch!« schrie der irritierte Unteroffizier, mit seiner Zigarette in der Luft fuchtelnd.
Der Feldwebel räusperte sich. »Bajonette bereitmachen!«
Paul kurbelte weiter, als die Soldaten vortraten und die stählernen Klingen in die Zivilisten stießen. Sie zogen die Bajonette heraus und stießen immer wieder zu, bis alle Belgier zweifelsfrei tot waren.
»Laßt sie liegen!« befahl der Unteroffizier. Seine Zigarette war zu einem Stummel heruntergebrannt. Als er sie wegwarf, fiel sein Blick zufällig auf die Scheune. Die Sonne mußte sich in der Linse gespiegelt haben, denn der Unteroffizier deutete mit dem Finger hinauf.
»Ich habe dort etwas gesehen. Sofort die Scheune umstellen.«
»Kommen Sie, Chef.« Sammy hechtete auf die Leiter zu.
»Gib mir das andere Magazin.«
»Chef, dazu haben wir keine ...«
»Das andere Magazin, verdammt noch mal!«
Sammy gehorchte mit vor Angst aufgerissenen Augen. Mit flinken Händen nahm Paul das Magazin mit dem belichteten Film heraus und legte das andere ein. Er hatte keine Zeit, die Kamera zu öffnen und den neuen Film einzufädeln. Er bedeckte das erste Magazin in dem Augenblick mit Heu, als die Soldaten das Scheunentor aufstießen.
»Du hältst den Mund, kein Wort jetzt«, flüsterte Paul. »Egal was passiert, du zeigst auf keinen Fall deinen britischen Paß.«
Unten wurden Gewehrhähne gespannt. Paul rief auf deutsch: »Bitte nicht schießen, wir sind Amerikaner. Amerikanische Staatsbürger.«
»Kommen Sie herunter, Hände über dem Kopf!« Das war der Unteroffizier.
Paul stieg zuerst hinunter. Der Unteroffizier konnte kaum älter als fünfundzwanzig sein. Er hatte ein rundes Babygesicht und sanfte blaue Augen. In seinem Gürtel steckte eine sauber gefaltete Karte. Alle deutschen Offiziere waren mit einer Fackel für Nachteinsätze ausgerüstet und mit Karten, auf denen die Straßen und wichtigen Punkte gekennzeichnet waren.
Der Offizier schlug die Hacken zusammen. »Unteroffizier Hermann Kinder. Sie sprechen deutsch?«
»Ich bin als Junge von Berlin ausgewandert.«
»Ah, ein Landsmann. Haben Sie Papiere?«
»Ja.« Paul zog sie unter seinem Kittel hervor. Der Unteroffizier entfaltete das übergroße, von Außenminister Bryan unterzeichnete Pergamentpapier, auf das mit sauberer Schönschrift die wichtigsten Daten über Paul, Alter, Größe, geschätztes Gewicht, Augen- und Haarfarbe, eingetragen waren. Der Unteroffizier betrachtete den Paß von allen Seiten beängstigend lange.
Endlich reichte er ihn zurück. Als nächstes begutachtete er Pauls Passierschein. »Ich darf Sie davon in Kenntnis setzen, daß die Belgier in diesem Land nichts mehr zu sagen haben. Brüssel ist am Freitag gefallen. Dieses Schriftstück ist wertlos.« Damit riß er es entzwei und warf die Schnipsel auf den Boden. Er beäugte die Leiter. Sammy blieb auf halbem Weg nach unten stehen, einen Arm um eine Sprosse gelegt. Sein Gesicht war blaß und angespannt.
»Was haben Sie da oben? Ich sah etwas blitzen, die Sonne hat sich auf einem
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