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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Erlaubnis von B. B. beurlaubt, hatte Fritzi dem Drängen ihrer Mutter nachgegeben und war durch das halbe Land gereist. Während der Fahrt hatte sie die rigorosen Ansichten ihrer Mitreisenden zum Krieg gehört: Die Vereinigten Staaten sollten Wilson folgen und strikte Neutralität wahren. Die Deutschen seien Barbaren, die nicht davor zurückschreckten, Nonnen zu vergewaltigen, Priester bei lebendigem Leib zu verbrennen, belgischen Babys die Hände abzuhacken. Aber zum Glück werde der ganze Spuk bis Weihnachten vorbei sein. Fritzi besaß dazu keine eigene Meinung, der Krieg hatte auch nichts mit ihrer Rückkehr nach Chicago zu tun. Sie war gekommen, um den fünfundvierzigsten Hochzeitstag ihrer Eltern im Palmer House mit zu feiern. Zu den Gästen der alljährli-chen Feier gehörten viele der langjährigen Mitarbeiter des Generals, Geschäftspartner und Freunde aus der Deutsch-Amerikanischen Gesellschaft in Chicago. Nach einigem Zögern hatte Fritzi sich dann doch entschlossen, nach Hause zu fahren, weil sie hoffte, die festliche Atmosphäre könne helfen, die Kluft zu ihrem Vater zu überbrücken.
    Der kastanienbraune Benz-Tourenwagen der Familie setzte sie bei Anbruch der Dunkelheit vor dem Haus ab. Die Dienstboten waren sämtlich neu und Fritzi unbekannt. Ihre Mutter sei noch bei einer Versammlung des Kirchenrats und der General in St. Louis, wo er ein Problem mit seinem Großhändler zu regeln habe. Er werde spät am Abend des folgenden Tages zurückerwartet.
    In ihrem alten Zimmer im zweiten Stock roch es trotz der frischen Bettwäsche und der frischen Blumen in der Vase muffig. Beim Auspacken drehte Fritzi sich langsam um, weil sie spürte, daß jemand ins Zimmer getreten war.
    »Joey!«
    »Hallo, Schwesterchen.« Er humpelte durch das Zimmer; sie umarmten sich. Joe junior warf seine alte Stoffmütze auf einen Stuhl. Joey ging auf die Vierzig zu, war aufgeschwemmt und bläßlich, und sein Atem roch nach Whiskey. Sein Bauchumfang hatte seit dem letzten Mal merklich zugenommen. Trotz seiner sozialistischen Verachtung des Kapitalismus hielt Joey an seiner Arbeit fest. Mama berichtete traurig, er habe seine Prinzipien für Schnapsgeld eingetauscht.
    »Hübsche kalifornische Bräune hast du, Schwesterchen.«
    »Danke. Du könntest auch etwas Sonnenschein vertragen.«
    »Ach, würde ja doch keiner merken. Ich hab’ deinen neuen Film gesehen, den, wo du alles kurz und klein haust. Sehr lustig!«
    »Es freut mich, daß er dir gefallen hat. Und du, wie geht’s dir?«
    »Wie soll’s mir schon gehen? Immer gleich. Arbeite sechs Tage in der Brauerei und sonntags im Parteibüro.«
    Fritzi mißfiel das Selbstmitleid, das in seiner Stimme lag, aber sie sagte nichts. Sie setzte sich auf das Bett. »Hat der Krieg hier in Chicago irgendwelche Auswirkungen? Im Westen wissen die Leute kaum, daß überhaupt Krieg ist.«
    »Die Deutschen sind ziemlich aufgeregt deswegen. Pa hat sich unten in sein Arbeitszimmer eine große Karte von Belgien und Frank-reich gehängt, mit farbigen Nadeln für beide Seiten. Würde mich nicht überraschen, wenn er morgen mit einem Bild des Kaisers heimkäme. Ich glaub’, er wird ein bißchen sentimental.« Joe junior faßte sich dabei an den Kopf. »Schließlich wird er im März zweiundsiebzig.«
    »Und was meinst du zum Krieg?«
    »Mit einem Wort? Kriminell.«
    »Welche Seite meinst du?«
    »Beide Seiten. Der internationale Sozialismus betrachtet alle Regierungen als von Natur aus korrupt, und Kriege sind demnach nichts anderes als politische Auswirkungen dieser Korruption. Der kleine Mann fängt keinen Krieg an, Schwesterchen, der Krieg wird ihm von den Ausbeutern aufgezwungen.«
    Sie lächelte. »Papa würde das rote Propaganda nennen, nicht wahr?«
    »Sicher, aber es ist die Wahrheit. Ich geh’ mich umziehen. Schön, dich hier zu sehen.« Er wandte sich um, zog seine Fußprothese nach. »Ach, weißt du’s schon? Carl kommt mit dem Mitternachtszug aus Texas. Er ist auf dem Weg nach Frankreich, kannst du dir das vorstellen? Du freust dich wahrscheinlich, ihn zu sehen.«
    Joeys Ton legte nahe, daß er sich nicht freute, ihn zu sehen. Wie traurig und verloren er aussah! Sie bezweifelte, daß ihm in diesem Stadium noch irgendjemand helfen konnte.
    Carl kam um halb fünf am Morgen ins Haus, sein Zug war mit mehreren Stunden Verspätung eingetroffen. Mit einer abgewetzten Reisetasche in der Hand und einem schmutzigen roten Schal um den Hals, stürmte er polternd die Treppe hinauf. Ilsa, im Nachtgewand,

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