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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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viele andere Korrespondenten. Paul erklärte, er habe die Absicht, den deutschen Vormarsch zu filmen.
    »Na, was die wohl dazu sagen werden«, meinte Dick Davis. »Zeig einem Armeeoffizier, ganz gleich wo auf dieser Welt, eine Kamera, und er denkt sofort: ein Spion.« Paul nickte, er dachte an die belgischen Kanoniere. Davis zog einen Bleistift aus der Brusttasche seines eleganten Leinenrocks.
    »Da bin ich auf einmal ganz froh, daß ich nur ein altmodischer Reporter bin.« Er schwenkte seinen Bleistift in der Luft. »Paß auf dich auf, mein Freund!«
    Hohe Pappeln säumten die Straße wie grün belaubte Flußufer. Das Flußbett aber quoll über von unendlichem menschlichem Leid. Hunderte von Flüchtlingen, soweit das Auge reichte.
    Paul richtete seine Kamera auf die vorbeiziehenden Menschenmassen. Einige starrten ihn an, niemand stellte eine Frage oder bot einen Gruß. Angst lag auf allen Gesichtern. Paul fing an zu kurbeln. »Mein Gott, ist das ein Anblick«, entfuhr es Sammy.
    In der Tat: Dieser Strom führte Männer, Frauen und Kinder mit Rucksäcken zu Fuß, auf Fahrrädern und auf hochbeladenen alten Karren mit. Eine Großmutter zog einen Leiterwagen mit einem kleinen Berg Kleider, Kochgeschirr - Überreste eines zerstörten Lebens.
    Ein schwarzer Daimler kroch vorbei, auf dem Dach schwankten Koffer und Kisten. Verängstigte weiße Gesichter starrten heraus. Ein junges Mädchen zog mit einem Mehlsack vorüber, in dem das Familiensilber klapperte. Ein bäuerliches Ehepaar mühte sich mit Holzkisten ab, in denen Enten quakten und Frischlinge quiekten. Ein schweißgebadeter Adliger in einem Alfa Romeo hätte beinahe eine Mutter überfahren, die ihre beiden Kinder auf dem Arm trug. Beim Ausweichen stieß er unflätige Bemerkungen aus.
    Ein alter Mann, der wie ein Gelehrter aussah, trug ein mit einem Lederriemen zusammengeschnürtes Bücherbündel über der Schulter. »Wie viele Deutsche in Liège?« rief Paul.
    »Bülows gesamte Zweite Armee. Stehlen alles, von Bildern bis Postkarten, die Hundesöhne.«
    Der Fluß des Grauens strömte über Stunden an ihnen vorbei, dann wurde er schwächer und trocknete schließlich ganz aus. Paul vermutete, daß die deutsche Vorhut nicht mehr weit war. Er filmte mit Unterbrechungen; die schmerzverzerrten Gesichter, die traurigen Bündel wiederholten sich. Er und Sammy schwitzten unter der Staubkruste, die ihre Gesichter fast unkenntlich machte.
    Paul ruhte sich im Schatten einer Pappel aus und rauchte eine Zigarre. Sammy verrichtete seine Notdurft an einem Busch. Auf den umgebenden Feldern standen die Ähren reif für die Ernte, die nie erfolgen sollte. Ein silbernes Etwas kam in Sicht.
    »Ein Zeppelin«, rief Paul und sprang auf. Zu seiner Linken wälzte sich eine riesige Staubwolke heran. »Sie kommen.«
    Paul trieb den alten Ackergaul so schnell er nur konnte, ohne befürchten zu müssen, daß das Pferd zusammenbrach, zum Dorf. Zwanzig Minuten nachdem sie angekommen waren, marschierten die ersten Deutschen ein. Das Geräusch ihrer eisenbeschlagenen Stiefel im Gleichschritt auf dem Pflaster war beängstigend. Sie marschierten im Stechschritt, junge Burschen in sauberen graugrünen Uniformen, die Gesichter lächelnd und zuversichtlich. Die Dorfbewohner blickten mürrisch. Paul und Sammy standen mitten unter ihnen auf dem Dorfplatz, sie wurden angestarrt, aber nicht behelligt. Aus Angst vor Beschlagnahmung hatte Paul die Kamera versteckt.
    Eine Kolonne von Transportwagen rollte durch das Dorf, dann ein Kommando von Ulanen, alle auf gleichfarbigen Pferden. An ihren Lanzen wehten Fähnchen. Eine Frau lief vor, um sie mit einem Strauß gelber Blumen zu begrüßen. Jemand aus der Menge warf einen Stein. Das Lächeln des Ulan-Offiziers gefror.
    Infanterieregimenter, Kavallerie- und Artillerieeinheiten zogen eine Stunde lang durch das Dorf. Hin und wieder fuhr ein offener Stabswagen nebenher, überholte die Marschierenden auf dem Dorfplatz und preschte weiter. Pauls Beine und Rücken schmerzten vom schlechten Schlaf, stundenlangen Stehen und von den zum Zerreißen angespannten Nerven. Er spürte seine sechsunddreißig Jahre; er war nicht mehr jung.
    Ein weiterer Stabswagen fuhr auf dem Dorfplatz vor. Er hielt an. Ein Oberst stieg aus, staubig, aber makellos gekleidet. Sein rosarotes Gesicht glänzte, als er die Mütze abnahm. Er hatte rotes Haar, gut geschnitten. Er verlangte nach dem Bürgermeister, zuerst auf deutsch, dann auf französisch.
    »Hier, Euer Ehren.« Ein beleibter Mann

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