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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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standen. Graue Asche bedeckte seinen Spenzer. Seine Kehle war trocken. Er war nervös, schuld daran war eine kurz vorher geführte Unterhaltung mit Michael Radcliffe.
    »Bemerkenswert«, sagte seine Lordschaft. »Quälende Geschichte. Sagen Sie, wer hat den Film sonst noch gesehen?«
    »Außer den Laborleuten, die ihn entwickelt haben, niemand.« Er sprach bewußt nicht von mehreren Labors.
    »Sie können stolz auf Ihre Arbeit sein, mein Junge.«
    »Danke, Sir. Ich gebe den Film gleich in die Redaktion der Wochenschau.«
    Lord Yorke erhob sich langsam aus seinem Sessel. »Das wird nicht nötig sein.«
    »Entschuldigung, aber ich verstehe nicht.«
    »Der Film kann in Großbritannien nicht gezeigt werden. Nach Ansicht der Regierung ist das Filmmaterial so negativ und gleichzeitig so anschaulich, daß die Moral der Zivilbevölkerung darunter leiden würde und die Freiwilligenmeldungen zurückgehen würden. Bis auf weiteres hat das Kriegsministerium Photographen und Filmleuten untersagt, unsere Soldaten an die Front zu begleiten.«
    »Michael hat mich schon vor neuen Erlassen gewarnt. Und wenn man sich nicht daran hält?«
    »Die Strafe ist abschreckend genug. Tod durch ein Erschießungskommando.«
    »Großer Gott! Das habe ich nicht gewußt.«
    Die Fenster verbargen sich hinter Samtvorhängen, aber der Lärm der Fleet Street drang dennoch herein: hupende Autos, auf dem Kopfsteinpflaster klappernde Pferdewagen, Zeitungsverkäufer, die lauthals die neuesten Schlagzeilen verkündeten.
    »Euer Lordschaft, bei allem Respekt - wie können Sie einer solchen Politik zustimmen? Die Worte, die man am Eingang dieses Gebäudes liest, haben doch eine Bedeutung.« Das Motto des Verlagsimperiums Hartstein war in hohen Lettern über der großen Bronzetür des Erdgeschosses eingemeißelt: VERITAS, AUT NIHIL. Die Wahrheit oder gar nichts.
    Lord Yorke blinzelte aus seinen Froschaugen und steckte die Daumen in die Armlöcher seiner Weste. »In Kriegszeiten müssen alle Kompromisse machen.«
    »Gerade in Kriegszeiten nicht, Sir. Für mich hört sich das an, als wären die meisten dieser sogenannten Patrioten in Whitehall hauptsächlich besorgt, den eigenen Hintern zu retten.«
    »Sie reden wie mein Schwiegersohn.«
    »Schieben Sie es auf meine Lehrer. Der Mann, der mir beigebracht hat, wie man mit einer Photokamera umgeht, ein alter Ire namens Rooney, hat mir immer wieder dasselbe eingehämmert: Bilder können lügen, aber sie müssen es nicht.«
    »In diesem Fall geht es nicht um lügen oder nicht lügen«, gab Seine Lordschaft bereits leicht gereizt zurück. »Die Filme verschwinden einfach, als gäbe es sie nicht.«
    »Ich habe mein Leben und das von Sammy riskiert, um sie zu drehen.«
    »Lassen Sie uns nicht streiten, mein Junge! Die grauenhafte Wahrheit dieses Krieges kommt noch früh genug ans Tageslicht. Er wird an Weihnachten nicht zu Ende sein, noch lange nicht. Das hat der Kriegsminister durchblicken lassen, als ich gestern mit ihm zu Abend aß.«
    Paul zog mit einer heftigen Bewegung eine neue Zigarre aus der Innentasche seiner Jacke, biß das Ende ab und riß ein Streichholz an seiner Schuhsohle an.
    »Das ist Ihr letztes Wort?«
    »Ja, Paul, ist es. Regen Sie sich nicht auf.«
    »Ich rege mich auf. Ich will meinen Film.«
    »Das ist leider nicht möglich.« Er drehte seinen plumpen kleinen Körper zu Seite, um Pauls Blick auf das Bildfenster des Projektionsraums zu lenken. Das Licht war bereits erloschen. »Der Film ist auf dem Weg in den Tresorraum. Das Negativ wird ebenfalls dort gelagert.«
    »Sie haben kein Recht .«
    »Bitte mäßigen Sie Ihren Ton, mein Lieber. Der Film ist mein Eigentum. Sie können es in Ihrem Vertrag nachlesen.«
    »Das ist mir egal, ich will den Film haben.«
    »Das ist gegen die Interessen der Regierung und der Verteidigung. Ich bin in erster Linie Bürger dieses Landes und dann erst Geschäftsmann. Vielleicht habe ich so nicht gesprochen, als ich noch arm und hungrig war, aber jetzt kann ich es mir leisten, Patriot zu sein. Ein patriotischer Krimineller, um genau zu sein. Mindestens einmal am Tag muß ich eine Falschmeldung gutheißen - Wahrheiten verschleiern. Unsere Zeitungsverkäufer unten auf der Straße verkünden, daß die Mittelmächte an der Marne zurückgefallen sind. Aber daß der gegenwärtige Sieg unsere Seite eine viertel Million Tote und Verwundete gekostet hat, das verkünden sie nicht.«
    »So viele.« Paul schauderte. »Das habe ich nicht gewußt.«
    »Der Mann auf der Straße weiß

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