Fremde Federn
meisten Leute in Grosse Pointe Henrys Mumm hassen, und meines Wissens ist es umgekehrt nicht anders.«
Carl blieb der Mund offenstehen. Der Henry, von dem die Rede war, war kein anderer als Henry Ford, Universalgenie und Besitzer der Ford Motor Company.
14. PAULS ANKER
In der Wohnung am Cheyne Walk war es still. Es war Nachmittag, und die dreijährige Betsy schlief noch. Der siebenjährige Shad saß neben seinem Vater am Erkerfenster und betrachtete das Buch mit großen, staunenden Augen. Paul und Julie nannten den Jungen Shad, weil zu viele Joes in der Familie Verwirrung stifteten.
Es war Juni, ein warmer, schläfriger Sonntag. Die Fensterflügel standen weit offen. Vor dem üppigen grünen Hintergrund des Battersea Park am anderen Flußufer trieben Lastkähne und Ausflugsdampfer von der einen zur nächsten Themse-Brücke. Der Junge fuhr mit dem Finger über den Namen seines Vaters, der unter dem Buchtitel stand: Zeuge der Geschichte.
»Hast du das wirklich selbst geschrieben, Papa?«
Mit einem Lächeln auf den Lippen zündete sich Paul eine Zigarre an. Den Spenzer aufgeknöpft, die Ärmel hochgekrempelt, hatte er den Arm kameradschaftlich um die Schulter seines Sohnes gelegt.
»Jedes Wort, gute und schlechte.«
»Oh, jedes Wort ist gut, Papa, meinst du nicht?« Shad war ein aufgeweckter, kräftiger Junge, dessen dunkelbraune Augen, die er von Paul geerbt hatte, von dem dichten pechschwarzen Haar, das Julies Erbe war, noch unterstrichen wurden.
»Na ja, so heißt es. Es ist erst seit März in den Buchhandlungen, und sie drucken schon eine zweite Auflage.« Er hatte im Büro des Verlegers am Bridewell Place, Blackfriars, angerufen. Alle, einschließlich des Verlegers Collins, hatten ihm zum Erfolg seines Buches gratuliert.
Der Erfolg hatte den Erstlingsautor selbst am meisten überrascht. Paul hatte mit Gelächter reagiert, als Julie ihm Fritzis Brief gezeigt hatte, in dem sie ihn dringend aufforderte, seine Erlebnisse schriftlich festzuhalten. Julie war es gewesen, die ihm zugeredet hatte zu schreiben, wann immer er eine Woche oder zwei zu Hause war. Sie hatte auch eine Typistin gefunden, die das Manuskript abtippte, und hatte es persönlich verschiedenen Verlegern vorgelegt. Der vierte, bei dem sie vorstellig geworden war, kaufte es auf der Stelle. Und jetzt hatte Paul einen Vertrag mit einem New Yorker Verlag namens Century für eine amerikanische Ausgabe unterzeichnet.
Shad blätterte um. »Die schweren Wörter kann ich noch nicht lesen.«
Paul fuhr dem Jungen mit den Fingern durchs Haar. Die Kinder, Julie, die zweigeschossige Wohnung in den oberen Stockwerken eines Stadthauses am Cheyne Walk, das waren die Anker, die ihm Sicherheit gaben, wenn er in ferne Länder aufbrach, wo das Leben wenig wert und das Überleben unsicher war.
»Du wirst sie schon bald lesen können.«
Wie alle Kinder seines Alters konnte sich auch Shad nur ein paar Minuten auf eine Sache konzentrieren. Er packte das Knie seines Vaters, um Ernsthaftigkeit zu demonstrieren. »Können wir nächste Woche in den Zoo gehen?«
»Samstag. Mein Schiff läuft am Sonntag von Liverpool aus.«
»Fährst du wieder nach Amerika?«
»Ja, ich drehe dort Filme und halte ein paar Vorträge. Übrigens zum ersten Mal.«
»Was ist ein Vortrag?«
»Eine Rede vor einem Publikum. Meine Reden handeln von Orten, die ich bereist, und von Dingen, die ich gesehen habe. Ich habe zwei Rollen Film zusammengeschnitten, die ich dabei vorführen werde.«
Ein Mann in New York, ein gewisser William Schwimmer der Firma American Platform Artists, dem Pauls Buch in die Hände gefallen war, hatte ihm geschrieben, daß er bei Pauls nächstem Besuch ein paar einträgliche öffentliche Auftritte organisieren könne. Aufgeregt hatte Paul zugestimmt. Lord Yorke hatte keine Einwände, im Gegenteil, er war der Meinung, daß Auftritte in der Öffentlichkeit seinem Starkameramann weitere Türen öffnen könnten.
»Ich hoffe, ich kann die Familie in Chicago sehen«, fuhr Paul fort. »Tante Fritzi in New York vielleicht, aber Onkel Carl ganz sicher. Nach Detroit fahre ich auf jeden Fall.«
»Wo ist das?«
»Im Staat Michigan. Ein Mann namens Henry Ford will dort ein Auto auf den Markt bringen, das ganz erstaunlich sein soll, weil es sowohl leistungsfähig als auch billig ist.« Er verrückte das Kissen, das er sich in den Rücken gelegt hatte. Dreißig Jahre alt und steif wie Methusalem, dachte er ärgerlich. Julie bedrängte ihn ständig, sich einen Gehilfen zu nehmen.
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