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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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die Niederlage eingestehen und sich nach etwas anderem umschauen, womit sie ihr Leben verbringen konnte. Vielleicht schaffte sie eine Lehrbefähigung. Sie konnte jederzeit Deutsch unterrichten und eine Theatergruppe in einer Schule leiten.
    Vom Gedanken an diese Art von Rückzug niedergedrückt, wusch sie ihr Gesicht und schlüpfte in den dünnen Morgenmantel. Heftige Windstöße bliesen Feuchtigkeit und den Gestank der Stadt in ihr Zimmer, das sie allmählich zu hassen begann. Sie zog einen Stuhl unter den Glühstrumpf der Gasbeleuchtung und schlug den New York Clipper auf, der zu den Publikationen gehörte, die regelmäßig Anzeigen aus der Theaterwelt brachten. Inmitten von Anzeigen für dressierte Hunde und Kinder, die Rad schlagen konnten, entdeckte sie eine Anzeige, die ihr Herz schneller schlagen ließ:
    ROLLENVERGABE SOFORT HEXEN für Neuproduktion der SCHOTTISCHEN TRAGÖDIE gesucht. Hauptdarsteller und Produzent ist der berühmte englische Darsteller tragischer Rollen HOBART MANCHESTER. Zum etablierten internationalen Ensemble gehört außerdem MRS. VAN SANT als Lady M. Jedes Alter willkommen. Vorsprechen Mittwoch zwischen 14.30 und 17.00 Uhr, Novelty Theater, 48. Straße. Benutzen Sie bitte den Künstlereingang an der Westseite des Cort Theater.
    Ihr wurde beinahe schwindlig vor Aufregung. Sie hatte alle drei der bösen Schwestern in den Produktionen der Schottischen Tragödie des unglückseligen Mortmain gespielt. Schottische Tragödie und Das schottische Stück waren in der Theaterwelt gebräuchliche Euphemismen für den Namen des Dramas von Shakespeare, das unter Schauspielern als Unglücksbringer galt. Ein ganzes Netz abergläubischer Vorstellungen rankte sich um das Stück und führte zu Dingen, die man weder während der Probe noch während der Vorstellung sagen oder tun durfte. Schreckliche Dinge, so hieß es, widerfuhren allen Schauspielern, die in Macbeth spielten.
    Fritzi lachte über diesen dummen Aberglauben. Selbst Belzebub hätte sie, wenn er ihr mit einer Einladung in die Hölle gewunken hätte, nicht davon abhalten können, im Novelty vorzusprechen.
    Am nächsten Tag zog sie ihre besten Kleider an und versuchte, wenigstens der schlimmsten Verfilzung in ihrem blonden Haar Herr zu werden. Ihr Magen knurrte, als sie in der Broadway-Elektrischen saß, für die sie sich deshalb entschieden hatte, weil sie ihre Kleider nicht schmutzig machen wollte, bevor sie dort war. Sie wäre beinahe durch das Fenster geflogen, als der Fahrer den Wagen am Union Square um Dead Man’s Curve riß. Sie hoffte, daß nicht noch Schlimmeres passieren würde.
    Mit schmerzender Schulter stieg sie an der Achtundvierzigsten Straße aus. Nach ein paar Schritten in östlicher Richtung näherte sie sich einer grellen Markise, deren elektrische Glühbirnen den Namen Fünf-Cent-Variety beleuchteten. Eben war eine Vorstellung zu Ende. Fritzi mußte gegen eine Horde redseliger Männer, Frauen und Kinder ankämpfen. Offenbar schossen an jeder Straßenecke in New York Nickelodeons aus dem Boden. Fritzi rümpfte die Nase und machte sich eiligen Schrittes auf den Weg zu der Gasse zwischen dem Novelty und dem Cort.
    »Tragen Sie Ihren Namen auf der Liste ein, und nehmen Sie im Auditorium Platz«, sagte der alte Mann, der den Bühneneingang bewachte. Er war damit beschäftigt, die Theaterkatze, eine übergewichtige, gescheckte Mieze, mit Häppchen zu füttern. Fritzi nahm den Federhalter und tauchte ihn in das daneben stehende Tintenfaß. Sie erbleichte. Das Blatt Papier war bis an den untersten Rand mit Namen gefüllt.
    Zu ihrem Entsetzen entdeckte sie darunter noch ein zweites vollgeschriebenes Papier. Das Hochgefühl, die Ahnung, daß sich das Blatt für sie nun wenden werde, zerbrach wie eine Christbaumkugel in der Hand eines Hünen. Nach grober Schätzung hatten sich bereits vierzig Schauspielerinnen in die Liste eingetragen.
    Du liebe Güte, dachte sie, ist das etwa schon der Fluch von Macbeth?
    Ihre Konkurrentinnen bevölkerten den Zuschauerraum. Sie beäugten Fritzi wie eine Aussätzige. Die setzte sich auf einen Platz im hinteren Teil nahe dem Gang und versuchte sich zu sammeln.
    Sie entdeckte ein Loch im Teppich, der im Gang lag. Vom Nabel eines Engels an der Decke blätterte die Farbe ab. Auf der Bühne erhellte eine Arbeitsleuchte an einer senkrechten Stange einen kleinen Tisch und einen Stuhl. Mit Sandsäcken beschwerte Soffittenzüge hingen vor der rückwärtigen Bühnenwand. Obwohl das Novelty im Ruf eines

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