Fremde Federn
geschafft.«
Sie schlang die Arme um seinen Hals. »Du darfst nur nicht so berühmt werden, daß dir ganze Horden von Frauen nachlaufen.«
»Ich mache mir nur aus einer etwas«, sagte er und zog sie in eine innige Umarmung. Julies Lippen schmeckten süß und warm. Ihr Körper drängte sich an den seinen. Seufzend legte sie die Wange an seine Schulter. »Ich verliere dich wieder einmal an die Welt.«
»Nur für ein paar Monate.«
Sie küßte sein Ohr, kraulte ihm den Nacken. »Eine Ewigkeit. Aber wenigstens bist du diesmal nicht in Gefahr.«
Ein ironisches Lächeln huschte über Pauls Gesicht, das seine Frau in der Umarmung nicht sah. In wenigen Sekunden spulte sich eine ganze Filmrolle vergangener Ereignisse vor seinem geistigen Auge ab:
Ein außer Rand und Band geratener bengalischer Tiger, der auf Paul zugerast kam, während er auf dem Rücken eines Elefanten saß und filmte. Der Elefantentreiber, der nebenher ging, stolperte über eine Wurzel, der Tiger kam näher, und schon war der kleine braune Mann in seinen Krallen ...
Die vom Regen aufgeweichte Erde am Ostende des Culebra-Grabens gab nach, eine riesige dampfbetriebene Schaufel neigte sich zur Seite und fiel mit beinahe feierlicher Langsamkeit auf die tiefer gelegene Arbeitsebene, wo sie zwei Arbeiter zermalmte, genau dort, wo Paul gefilmt hatte; er war mit seiner Kamera in letzter Sekunde geflohen. Präsident Teddy Roosevelt, in weißem Anzug und mit strahlendem Lächeln, war gekommen, das große PanamakanalProjekt in Augenschein zu nehmen; es war noch keine Stunde her, daß er mit großspuriger Geste die Hebel eben dieser Maschine betätigt hatte .
Ein Stammesmitglied im Atlas-Gebirge in Marokko hatte beim Anblick der Kamera um seine Seele gefürchtet und mit Hilfe einer altertümlichen, langläufigen Flinte versucht, Paul am Drehen zu hindern .
Keine Gefahr? Man begab sich immer in Gefahr, wenn man seine Arbeit gut machen wollte. Im Jahr 1898 war er auf Kuba nur knapp dem Tod entronnen, genauso im Burenkrieg und während des philippinischen Aufstands, der von der amerikanischen Armee niedergeschlagen wurde. Natürlich verharmloste er diese Vorfälle vor Julie.
»Mach dir keine Sorgen, ich passe immer auf mich auf«, sagte er und küßte die warme Mulde an ihrem Hals. »Ich würde nur sehr ungern auf dich und die Kinder verzichten.«
»Paul, ich habe darüber nachgedacht, ob Betsy jetzt nicht in einem Alter ist, in dem sie gern ein Brüderchen oder Schwesterchen hätte. Ich habe schon mit Shad gesprochen, und er ist ganz meiner Meinung.«
Paul lachte und griff nach einer neuen Zigarre.
»Wunderbar! Ich schlage vor, wir besprechen das heute abend unter vier Augen.«
15. DREI HEXEN UND VIER SCHAUSPIELERINNEN
Die Tage vergingen - und immer noch keine Arbeit. Fritzi schraubte ihre Ausgaben so weit herunter, bis sie nahe am Verhungern war. Zum Frühstück nahm sie zwei Tage altes Brot und heißen Tee zu sich. Ihre Hauptmahlzeit bestand ebenfalls aus einer Scheibe trockenen Brotes und, einmal pro Woche, aus einem Austerneintopf, den sie auf dem Gasring in ihrem Zimmer kochte. In einem Delikatessengeschäft kaufte sie eine einzige Auster, die sie in etwas Brühe erwärmte. In den Briefen an ihre Mutter beschönigte sie ihre Situation. »Alles bestens! Aussichten gut!«
Seit sie in New York war, inzwischen bereits so viele Monate, hatte sie nicht ein einziges Mal vom General gehört oder ihm geschrieben. Sie erwartete keine Veränderung der Situation. Der Schmerz über ihre Entfremdung hatte mit der Zeit etwas nachgelassen, letztendlich aber war er lediglich einer dumpfen Resignation gewichen, die ihr hin und wieder schmerzlich bewußt wurde.
Ende August war sie an einem absoluten Tiefpunkt angelangt. An einem besonders frustrierenden Dienstag - auf vier Anzeigen geantwortet, keine Arbeit - trat sie an ein Schalterfenster im Grand Central Terminal.
»Einen Fahrplan für Chicago, bitte.«
Fünf Minuten später warf sie den Fahrplan an einer Straßenecke in den Abfalleimer. Ellen Terry schalt sie schon für den Gedanken, nach Hause zu laufen.
Mit schmerzenden Füßen schleppte sie sich deprimiert Downtown, als heftiger Regen einsetzte. Sie war naß bis auf die Haut, als sie die Stufen zu Mrs. Perellas Wohnung hinaufstieg. Waren zwei Jahre in New York nicht genug? Sie setzte sich eine Frist. Wenn sie es nicht schaffte, bis zu ihrem Geburtstag am fünften Januar wenigstens eine gute Rolle zu ergattern, würde sie packen, nach Hause fahren, ihrem Vater
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